Das Prinzip des Göttlichen Tons

Was ist dieser Ton oder diese Melodie? Was ist Sein Wesen? Manche sagen, wenn zwei Dinge gegeneinander stoßen, entsteht Klang. Andere sagen, dass es dort, wo es Bewegung gibt, Klang gibt. Natürlich wird Klang durch Zusammenstoß und Bewegung erzeugt, aber die Melodie, auf welche sich die Heiligen beziehen, ist übergeordnet. Diese Melodie erhält das Universum und ist das Unterscheidungsmerkmal der Spiritualität.

Heilige sagen, dass das gesamte Universum durch (den) Ton geschaffen wurde. Muslime sagen, dass das Wort ,Kun‘ die ganze Welt ins Leben gerufen hat. Auch die Christen geben an, dass die Welt durch das Wort erschaffen wurde.

Dieser Ton oder (diese) Melodie ist bewusst. Sie ist die eigentliche Essenz des Bewusstseins. Die Melodie ist Wissen und ist auch das Medium für die Manifestation von echtem Wissen.

Wisse, dass Wissen und Kontemplation die Melodie sind, welche unbeschreiblich ist.

Sri Rag M1, 59-8

Dieser Ton oder (diese) Melodie durchdringt alles. Sie ist sogar im Inneren von Steinen und Holz, da diese aus Atomen bestehen und ihnen Bewegung innewohnt. Aufgrund dieser Bewegung unterliegt alles einem ständigen Wandel. Die Bewegung selbst ist die Ursache der Veränderung. In Wirklichkeit wandelt sich alles. Diese Welt verändert sich jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde. Jeden Augenblick, jede Stunde und jeden Tag verändert diese Welt ihren Zustand.

Ob wir es wissen oder nicht, ein Stein verändert sich ständig. Er ist in Bewegung. Ton ist eine notwendige Begleiterscheinung von Bewegung und deshalb ist ein Stein nicht frei vom Ton. Sowohl die Körper, die wir sehen, als auch die, die wir nicht sehen, sind in Bewegung. Es gibt daher Ton in allem, und der Ton ist die Essenz von allem. Ob voll oder leer, alle sind voll von seiner Göttlichen Melodie. Schau dir die Trommel an und sieh, wie Klang von ihr ausgeht.

Der Göttliche Ton füllt sowohl das Volle als auch das Leere. Sieh die Trommel an und sieh, wie ihr Fell schreit.

Diese Melodie durchdringt alles und ist das Leben und der Unterhalt von allem. Dieser Strom des Bewusstseins ist sehr subtil. Er erfordert ebenso subtile Ohren, um Ihn zu hören.

Ein Sufi-Heiliger hat sehr treffend gesagt:

Draht ist tot, Holz ist tot, und (die) Haut ist tot, woher kommt dieser Ton des Freundes (Gottes)?

In der Tat ist das Shabd oder (der) Göttliche Ton der Schöpfer des Universums. Diese gesamte Manifestation wird von diesem Ton erschaffen.

Hätte Er nicht daran gedacht, Sich zu offenbaren, hätte es weder Ton noch Welt gegeben.

Der Geliebte spricht ständig zu euch. Doch ach! Ihr hört nicht auf Ihn.

Mein Geliebter wendet Sich fortwährend an euch. Aber ach! Ihr hört nicht auf die Worte des Urältesten Einen.

Niaz Shah

Der Prophet sagt: ‚Die Stimme Gottes erklingt in meinen Ohren wie gewöhnliche Töne. Aber Gott hat eure Ohren versiegelt, sodass ihr Sie nicht hören könnt.‘

Der Prophet sagte über die Stimme Gottes: Sie dringt in meine Ohren wie gewöhnliche Töne. Aber Gott hat eure Ohren versiegelt, sodass ihr die Stimme Gottes nicht hört.

Dieser Ton, Welcher als die Stimme Gottes oder des Geliebten oder des Freundes bezeichnet wird, erklingt überall auf der Welt.

Hafiz Sahib sagt:

Alle sieben Regionen sind von diesem Ton durchdrungen. Aber die Narren hören Ihn nicht, denn der Ton ist subtil.

Dieser Ton erklingt in den sieben Regionen, aber die Unweisen können Ihn nicht verstehen. Dieser Ton ist rein und unabhängig. Er wird durch nichts anderes aufrechterhalten. Hier, in dieser materiellen Region, herrschen Maya und Gemüt vor, und der Ton ist mit ihnen vermischt. Der Ton kann in der Stirn im Sushmana, der königlichen Vene, unter der Anleitung eines Gurus verwirklicht werden. Die Praxis, den Himmlischen Ton zu hören, ist notwendig, um Wissen über die Seele zu erlangen.

Man sollte dem Göttlichen Ton lauschen, Welcher von den muslimischen Heiligen Sout-e-Sarmadi, Ewiger Ton, oder Naghma-e-Yazdani, Lied Gottes, genannt wird, und so die Region erreichen, in welcher der unaufhörliche Ton des Geliebten erklingt, der aus den höheren Regionen herabgestiegen ist.

Maulana Rumi sagt:

Suche den Ton, der niemals vergeht. Suche die Sonne, die niemals untergeht.

Weltliche Menschen wissen nichts von diesem Ton. Wenn man nach Innen geht, nachdem man von einem Meister, Der in der Praxis des Tons versiert ist, Anweisungen erhalten hat, hört man Hunderte von Klängen1, während diejenigen, die nahe bei einem sitzen, nichts hören.

Er hört in seinem Inneren Hunderte von Klängen; diejenigen, die in seiner Nähe sitzen, hören keinen einzigen.

Maulana Rumi

Diese Melodien sind nicht eingebildet. Diejenigen, welche den Pfad des Tonstrom praktiziert haben, haben in jedem Zeitalter die Melodie mit ähnlichen Worten beschrieben. Sogar heute noch hören Sie die unwissenden Kinder und die neuen Sucher, welche in der Gesellschaft der Heiligen verweilen, und bezeugen ihre Existenz als eine erfahrbare Tatsache.

In den Upanishaden werden die Melodien von Shabd erwähnt.

Zu Beginn der Praxis gibt es laute Töne. Sie nehmen weiter zu und werden in einer subtilen Form gehört. Die Klänge am Anfang sind die des Meeres, der Gewitterwolken, der Trommeln, der fließenden Bäche, der Glocke oder des Muschelhorns.

Nad Bindu Upanishad des Rig Veda – P. 33-34

In dem Bhakti-Sagar genannten Buch hat der heilige Charandas zehn verschiedene Arten von Klängen erwähnt, wie das Zirpen der Spatzen und der Grille, das Bimmeln kleiner Glocken, das Läuten großer Glocken, das Muschelhorn, den Dudelsack, die Zimbeln, das Schilfrohr2, die kleine Trommel, die Flöte und das Brüllen der Löwen. In der Hatha Yoga Pradibika werden ebenfalls zehn ähnliche Klänge erwähnt, wie das Summen der Bienen, die Fußglöckchen, das Muschelhorn, die Glocke, die Zimbeln, die Flöte, die Kesselpauke, die kleine Trommel, das Schilfrohr und das Brüllen der Löwen. Auf Seite achtundneunzig des Sar Bachan3 werden auch zehn Klänge erwähnt, die in Sahasdal Kanwal, dem Tausendblättrigen Lotos, zu hören sind:

Die Klänge von Muschelhörnern und Glocken werden laut. Die wunderbare Musik der Vina und des Schilfrohrs erklingt. Die Klänge von Zimbeln, Trommeln und Kingri sind zu hören. Die Klänge von Trommeln und Tamburin rasseln. Der Nektar regnet in tausenden von Schauern; der Himmel dreht sich wie ein Rad.

Madame Blavatsky schreibt in "Die Stimme der Stille" wie folgt:

Der erste ist gleich der süßen Stimme der Nachtigall, die ihrem Gefährten ein Abschiedslied singt. Der zweite naht wie der Klang einer silbernen Zimbel der Dhyanis, der die funkelnden Sterne erweckt. Der nächste ist wie das melodiöse Klagelied des Meeresgeistes, der in seiner Muschel gefangen ist. Und dieser wird gefolgt von dem Gesang der Vina. Der fünfte schrillt in deinem Ohr wie der Klang einer Bambusflöte. Er geht über in einen Trompetenstoß. Der letzte vibriert wie das dumpfe Grollen einer Gewitterwolke.

Amir Khusro hat diese Töne ebenfalls erwähnt und beschreibt sie wie folgt:

Der erste ist das Summen von Bienen, der zweite ist das Läuten von Glocken, der dritte ist der Ton des Muschelhorns. Der vierte (ist) der Klang einer großen Glocke. Der fünfte ist der Klang der Glocke (hoch), der sechste ist der Klang der Flöte. Der siebte ist der Klang der Kesselpauke, der achte der Klang der kleinen Trommel. Der neunte ist der Klang der Klarinette, der zehnte ist der Klang des Löwengebrülls.

Die unaufhörliche Musik ist von zehn Arten,

Der Yogi vertieft sich in sie, und das Gemüt und die Sinne fallen ab. Wenn die unaufhörliche Musik zu klingen beginnt, schleichen sich die Diebe des Körpers davon. Die Gnade des Meisters ist mit ihm. Khusro ist in der Göttlichen Musik aufgegangen.

Dies sind die Töne der Vorstufen. Die Wahren Töne sind die der Glocke und des Muschelhorns, welche mit den höheren Regionen verbunden sind.

Niemand weiß, wo die Heimat des Geliebten ist; aber aus dieser Region kommt der Ton der Glocken.

Hafiz

Es gibt Göttliche Musik und Melodie im Shabd:

Die Melodie der Glückseligkeit und des Gleichgewichts kommt aus dem Wahren Inneren Ton, das Gemüt ist auf die Wahrheit eingestimmt. Und der Ergebene verankert in seinem Gemüt das unergründliche, unsichtbare Naam.

Sarang M3, 1234-8

Warum hören wir diesen Ton nicht? Dieser Ton erklingt die ganze Zeit. Warum hören wir Ihn dann nicht? Der Grund ist, dass in unserem Gemüt ständig Wellen entstehen und wir voller Selbstbezogenheit und Stolz sind. Deshalb können wir den Ton nicht genießen, noch lieben wir den Namen Gottes.

Das Gemüt ist in einem Strudel gefangen, das Ego ist stark aufgebläht. Ein solcher Mensch ist nicht auf das Shabd eingestimmt. Noch schätzt er den Namen des Herrn.

Sarang Var M3, 1247-14

Maulana Rumi sagt auch, dass eure Ohren die Göttliche Melodie nicht hören können, weil die Sünden die Sensibilität eurer Ohren abgestumpft und beschmutzt haben.

Du hörst die Melodien nicht mit deinen Ohren. Die Empfindlichkeit deiner Ohren ist durch die Sünden verunreinigt worden.

Maulana Rumi

Diese Innere Melodie ist der Name des Herrn. Sie ist die Form des Herrn, welche das Universum durchdringt.

Das Wort des Gurus oder der Name des Herrn ist das Allheilmittel für alle Übel.

Basant M1, 1189-7

Diese Melodie wird auch Bani, Stimme Gottes, genannt, welche durch alle vier Zeitalter hindurch existiert hat.

(Die) Wahrheit erklingt durch alle vier Zeitalter hindurch, und Wahrheit ist, was Sie verkündet.

Sri Rag M2, 35-9

Die Stimme ist überall gegenwärtig und wurde als Shabd oder Naam beschrieben. Sie ist sehr süß und liebevoll.

Durch die Zeitalter hindurch, durch das Wort Seines Bani, wird Sein Shabd verwirklicht, und der Name wird dem Gemüt so süß und lieblich.

Sorath M3, 602-12

Ach! Der Mensch bleibt immer in der Knechtschaft des Körpers und seiner Verstrickungen. Da er in der groben Materie gefangen ist, hört er den subtilen Ton des Herrn nicht.

Ach! Du bleibst im Körper gefangen und hörst nicht auf die heilige Göttliche Musik. Sie ruft die Seele ständig dazu auf, in ihre Wahre Heimat zurückzukehren. Ein Ton kommt aus der Ewigen Wohnstätte, um dich zurückzurufen.

Tulsi Sahib

Dieser Ton befindet sich nicht innerhalb der Reichweite der physischen Ohren. Doch jeder hat die Fähigkeit, Ihn im Inneren zu hören. Dazu ist es notwendig, die Inneren Ohren zu öffnen, und dies kann geschehen, indem man den Anweisungen des Meisters folgt.

Diejenigen, die nicht nach Innen gegangen sind und noch in die weltlichen Wissenschaften vertieft sind, wissen nichts von dieser Göttlichen Melodie. Die Naturwissenschaften mögen nicht in der Lage sein, es zu beweisen, aber das, was immer oben dargelegt wurde, ist eine Tatsache und kann von einem Sucher durch Übung hinter den Augen tatsächlich erfahren werden, indem er in das Laboratorium der Heiligen geht.

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Fußnote:

1) Die Heiligen sagen, dass es im Inneren tausende Töne gibt, aber dass es nur auf fünf Töne ankommt. Es gibt nur fünf Spirituelle Töne, welche mit den fünf Inneren Ebenen von And (Astralebene) bis Sach Khand (Sat Lok) in Verbindung stehen.

2) Die englische Bezeichnung reed wird auch für das Rohrblatt – meist einfach als Blatt bezeichnet – in Blattblasinstrumenten verwendet, welches dort beim Anblasen durch Vibration den Ton hervorruft.

Hingegen wird bei – oft aus Schilfrohr oder Bambusrohr gefertigten – Rohrflöten der Ton durch das Blasen gegen den Rand der oberen Rohröffnung erzeugt – je nach Typ der Flöte in Verbindung mit dem Austritt der Luft durch weitere vorhandene Öffnungen, wobei während des Spiels üblicherweise wechselnd alle Fingerlöcher bis auf eines verschlossen werden.

3) Die Textstelle ist in Bachan 6, Shabd 5 zu finden. Die Seitenzahl kann je nach Ausgabe abweichen, in der Ausgabe, aus der das der untenstehenden Übersetzung zugrundeliegende Zitat stammt, findet sie sich auf Seite 127f. Sie wird in heute zugänglichen englischen Ausgaben etwas anders übersetzt, weshalb auch die untenstehende deutsche Übersetzung abweicht:

Die Töne der Glocke und der Muschel und die wunderbaren Melodien der Vina (Harfe) und der Bansuri (Flöte) sind zu hören. (16)

Die Töne der Tál (Zimbel), der Mridangam (Doppeltrommel) und der Kingri (Fiedel) werden hörbar und die der Dhol (Trommel) und der Pakháwaj (Tabor) erklingen jeden Moment. (17)

Ambrosiaregen fällt in tausenden von Sturzbächen. Der Gagan Mandal1 dreht sich wie ein Spinnrad. (18)

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1. Gagan Mandal bedeutet wörtlich die himmlische Sphäre. Gagan – Der Himmel, der Himmel, die Weite darüber. Mandal – Ein Kreis, eine Sphäre.

Ergänzung zu obiger Erläuterung: Im Sant Mat bezeichnet der Begriff Gaggan den astralen Himmel.