Du bist nicht die Erste und nicht die Letzte…

20. März 1916

Liebe Tochter,

was deinen Brief betrifft – es gibt keine Aufgabe in der Welt, die am Anfang so schwierig ist, wie die Spirituelle Praxis, aber zuletzt so voller Freude. Daher kommt es, dass die meisten am Anfang verzagt sind, aber sie können dennoch nicht aufgeben, weil sie keinen anderen und leichteren Pfad finden können. Darum nehmen sie schließlich ihre Reise wieder auf und haben letztlich auch Erfolg. Viele haben sich über die Schwierigkeiten der Spirituellen Reise beklagt, aber da sie in den vergänglichen Freuden dieser Welt wenig Trost fanden und nichts Höheres finden konnten, haben sie ihre schwierige Arbeit wieder aufgenommen. Du brauchst dir keine Sorgen machen; dies war eines der täuschenden Hindernisse, die das Universale Gemüt errichtet hat. Sei nicht beunruhigt, eines Tages wirst du sicherlich des Meisters Strahlender Gestalt gegenüberstehen. Es braucht eben einige Zeit, um die Unreinheit vieler vergangener Geburten aus dem Gemüt zu entfernen. Es ist ein Grundsatz von Sant Mat, dass die Seele eines Schülers so lange nicht gereinigt wird, solange er nicht alles – Körper, Gemüt und Besitz – dem Meister übergibt. Aber der Meister, Der den unerschöpflichen Reichtum des Heiligen Naams erhalten hat, verlangt nicht nach vergänglichem Besitz anderer. Er nimmt nicht einen einzigen Pfennig von den Schülern, obgleich der Schüler alles so betrachtet, als ob es dem Meister gehört. Das Ergebnis ist, dass das Gemüt eines solchen Schülers, wenn er von Krankheit, Armut, Sorge oder einem anderen Unglück heimgesucht wird, nicht beeinflusst wird, weil er weiß, dass alles dem Meister gehört, und nicht ihm. Auch wenn ihm Unglück widerfährt, ist es Sache des Meisters, und es berührt nicht ihn. Darüber hinaus sollte ein Schüler fest daran glauben, dass er auf dem Pfad erfolgreich sein wird. Und selbst wenn er nicht daran glaubt, sollte er sich bis zu seinem letzten Atemzug bemühen – da kein Weg besser scheint als dieser. Es ist besser, als spirituell Suchender zu sterben, als alle weltlichen Ehren zu erlangen.

Wir haben keinen Feind auf der Welt, denn alle gehören zu uns; unser einziger Feind ist unser niederes Selbst. Ein Schüler kämpft ununterbrochen gegen sein niederes Selbst. Daher ist er vor dessen Irreführungen immer auf der Hut. Auch in Indien vernachlässigen schwache Menschen – von den Regeln des gesellschaftlichen Lebens überwältigt – ihre Spirituelle Praxis. Nur ein tapferes Gemüt kehrt diesen Regeln den Rücken zu und kommt seinen Spirituellen Übungen beharrlich nach. In Indien ist es besonders schwierig.

Alle Seelenströme, die den Körper durchdringen, beginnen sich allmählich vom Körper zurückzuziehen und er scheint gefühllos zu werden und wird so manchmal völlig vergessen. Dann sammeln sich die Ströme im Augenbrennpunkt und streben aufwärts zu einer Öffnung hin, die von der vergänglichen zur unvergänglichen Welt führt. Sie wird sich öffnen, wenn der Geist voll konzentriert ist; und wenn du einen Schimmer der höheren Welt einfängst, wirst du so von Freude erfüllt sein, dass die physische Welt im Vergleich dazu wie ein reines Nichts erscheint. Du wirst sehen, was es dort oben außerdem noch gibt, doch das brauche ich hier nicht zu beschreiben. Es wird eine Zeit kommen, wo dir dein Körper wie der Leichnam eines Toten erscheinen wird.

Es gibt keinen Zweifel, dass in der Gesellschaft mit anderen das Gemüt zerstreut wird. Deshalb ist es wichtig, dass ein Schüler die Zeit, die er nicht unbedingt für weltliche Angelegenheiten braucht, in Meditation verbringt – das siehst du ganz richtig. Es ist besser, dass ihr unter euch bleibt, statt mit anderen zusammen zu sein. Wenn ihr andere besucht, tauscht ihr Gedanken mit ihnen aus. Sie werden eure guten Gedanken in sich aufnehmen, aber ihre niederen Vorstellungen werden in euer Gemüt eindringen und zur Zeit eurer Spirituellen Übungen wieder lebendig werden. Das ist auch der Grund, warum manche Menschen ein zurückgezogenes Leben führen. Andererseits ist die Gemeinschaft mit Satsangis sehr nützlich, denn dabei lassen sich viele Zweifel klären. Dennoch solltet ihr weiterhin mit beiden Beinen im Leben stehen, damit euer Einkommen nicht darunter leidet.

Mach dir keine Sorgen. Der Meister kümmert Sich jeden Augenblick um dich. Du kannst es zwar nicht sehen, aber wenn du auf deiner Reise vorankommst, wirst du es selbst erleben.

Mit einem herzlichen Radhasoami
von allen Satsangis und mir.

Mit herzlichen Grüßen

Sawan Singh