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Wie man einen Gottmenschen erkennt

Aber wie sind solche erhabenen Persönlichkeiten zu unterscheiden, Die auf die Welt der Sterblichen herniederkommen, um der Menschheit auf ihrer Reise zum Höchsten Ursprung des Geistes zu helfen? Wann immer Sie kommen, offenbaren Sie Sich Selbst, und diejenigen, die mit der Spirituellen Schau begabt sind, wissen, wie man Sie erkennt.

Ein Mensch der Verwirklichung allein kann eine verwirklichte Seele erkennen.

Guru Arjan, Gauri M5

Doch nicht jeder ist spirituell fortgeschritten. Es gibt natürlich einige bestimmte und hervorstechende Merkmale im Leben und Gebaren der Heiligen. Mit diesem Wissen mag ein fleischliches Auge im Stande sein, Sie von der gewöhnlichen Art zu unterscheiden.

Ein Wirklicher Meister ist ein Welt-Lehrer und nicht Lehrer einer bestimmten Sekte oder Glaubensrichtung. Er schaut auf die Menschheit von der Ebene der Seele aus und wendet Sich an alle beseelten Körper gleicherweise.

Ein Wahrer Meister ist bekannt für die Universalität Seiner Lehren, denn Sein Aufruf ist ein universaler und gilt allen. In Seiner Herde sitzen alle als Glaubensbrüder zusammen, ungeachtet der Rasse und der Religion.

Ferner ist ein Wahrer Meister nicht hinter äußeren Pomp und Zurschaustellung her, sondern lebt von Seinem eigenen Einkommen und ist niemals abhängig von anderen, was Seinen Lebensunterhalt betrifft.

Wer auch immer sich selbst einen Lehrer nennt und von der Mildtätigkeit anderer lebt, vor ihm beuge dich niemals. Einer, Der Seinen Unterhalt im Schweiße Seines Angesichts verdient und mit anderen teilt, o Nanak, nur Der allein kann den Weg kennen.

Guru Nanak, Sarang War M1

Wie können wir in die Gemeinschaft des Einen kommen, in Dessen Gegenwart das Gemüt ruhig wird? Die Heiligen sind die Wahren Freunde, denn Sie allein flößen Göttliche Trunkenheit ein.

Guru Amar Das, Suhi M3

Wenn man mit all-liebender Hingabe einen Gottmenschen sieht, wird nicht nur das Gemüt still, auch alles Leid wendet sich ab.

Guru Arjan, Suhi M5

Wann immer jemand mit offenem Herzen in die Gegenwart eines Wirklichen Meisters gelangt, findet er Wellen des Trostes, die ihm entgegenströmen und fühlt dadurch eine Woge der Erhebung in sich. Seine persönliche Aura hat diese wunderbare Wirkung auf uns. Seine Worte, so wie sie sind, sind mit hoher Spiritualität geladen, sie sinken tief in die Herzen der Zuhörer hinein und sind niemals ohne Wirkung.

Gottmenschen sprechen immer mit einer Autorität, die aus der Überzeugung geboren ist, denn Sie besitzen Wissen von allem, das aus der direkten Verbindung mit der ursprünglichen Quelle oder dem universalen Urgrund herrührt. Sie sprechen vom Standpunkt der Seele aus, zu welchem die gelehrte Philosophie keinen Zugang hat. Alle Heiligen haben diese Wahrheit verkündet. Je mehr man sich literarischen Bestrebungen zuwendet, desto mehr wird man sich im Irrgarten des Buchwissens verlieren. Es ist mehr Wahrheit in Seiner Rede, als alle Worte gelehrter Philosophie jemals aufzeigen können. Wir sollen, so gut es geht, den besten Gebrauch davon machen, aber wir dürfen uns nicht in sie verlieren, denn der Verstand ist zwar eine Hilfe, aber er ist auch ein Hindernis.

Der Wahre Meister ist einer, Der Selbst vom Wasser des Lebens – der Wahrheit – in Fülle trinkt und es auch anderen anbietet. Er ist kompetent, das Innere Auge der Sucher zu öffnen, damit sie das Licht Gottes schauen können, und Er kann ihr Inneres Ohr entsiegeln, um sie die Stimme Gottes – das Tonprinzip – hören zu lassen, das in der ganzen Schöpfung erklingt.

Wahrlich, ein Wirklicher Meister nimmt den Schleier vom Auge weg und gewährt einen Schimmer von der Wahren Wohnstatt.

Und wieder:

Wer uns Gottes Wohnstatt im Körper zeigen kann, o, nehmt Ihn in der Tat als den Wahren Meister an.

Guru Arjan, Gauri M5

Die Glorie eines Sadh umfassen selbst die Veden nicht vollständig.

Guru Arjan, Gauri M5

Sie ist bar jeglicher Beschreibung. So legen die Heiligen natürlicherweise mehr Nachdruck auf persönliche Erfahrung. Sie kommen zu dem grundlegenden oder zentralen Standpunkt aller Religionen, welcher die Aussagen der Heiligen aller Glaubensrichtungen betrifft. Gottmenschen schauen nicht auf die äußeren Erscheinungen noch auf die unterschiedliche Kleidung der verschiedenen Orden, vielmehr akzeptieren Sie die Wahren Werte des Lebens. Sie mischen Sich nicht in alt herkömmliche Glaubensansichten, zu denen sich Ihre Schüler bekennen, und auch nicht in die Art ihres sozialen Lebens. Im Gegenteil: Sie legen allen nahe, in ihren sozialen Religionsgemeinschaften zu verbleiben und durch diese die Spirituelle Bedeutung des Lebens kennenzulernen und nach ihr zu leben. Sie gründen keine neuen Glaubensgemeinschaften oder Religionen. Jene, die nach Innerer Spiritueller Erhebung trachten, können von Gottmenschen Nutzen ziehen, ohne dass sie die Religionsgemeinschaft, der sie angehören, verlassen. Jedoch befürworteten die Heiligen nicht die Ansicht, dass man das höhere Leben durch objektives Streben suchen sollte. Sie sehen den menschlichen Körper als den lebendigen Tempel Gottes und weisen Ihre Schüler an, Gott darin zu suchen durch die Praxis der Wissenschaft vom Heiligen Wort.

Wahrlich, dieser Körper ist der Tempel Gottes, und das Wort wird in ihm offenbar. Für den Unwissenden lebt Gott getrennt vom Menschen und ist unerreichbar.

Guru Amar Das, Parbhati M3

Gott Selbst schuf den Tempel des Menschen und wohnt darin. Durch die Gnade des Meisters kann man Gott finden, nachdem alles äußere Verhaftetsein ausgemerzt ist.

Guru Amar Das, Shalok M3

Und wieder:

Suche Gott niemals in der äußeren Welt, denn Seine Wohnstatt liegt in deinem Haus (dem Körper). Der Unwissende kennt nicht den Wert des Tempels Gottes, und er verliert sein irdisches Leben für nichts.

Guru Amar Das, Ramkali War M3

Gottmenschen messen Pilgerorten keine große Heiligkeit zu, wohl aber der Gemeinde der Heiligen. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Großen Seelen, Welche die Plätze, die heute Pilgerorte genannt werden, gesegnet haben.

Heiligen zu begegnen und in Ihrer Gemeinschaft zu sein, ist die Größte Pilgerfahrt. Einen Heiligen zu sehen, vermittelt einem den Segen von allen 68 Pilgerorten zugleich1.

Guru Nanak, Sorath M1

Heilige schreiben keine andere Form der Verehrung oder Ausübung eines Rituals vor als die der Verbindung mit dem Wort – dem Heiligen Naam. Sie legen uns die Verehrung des Göttlichen im lebendigen Tempel des menschlichen Herzens nahe. Dies ist in der Tat die Wahre Verwirklichung des universalen, segenspendenden Spirituellen Stromes in diesem Erdenleben, welcher die ganze Schöpfung durchdringt.

Die Schätze von Naam sind im Tempel Gottes (dem Körper), aber die Unwissenden finden sie nicht darin.

Guru Amar Das, Parbhati M3

Die Reinen sind diejenigen, welche in Verbindung mit dem Wort sind. Ohne das Wort gibt es keine Verehrung. Die ganze Welt steckt in abergläubiger Unwissenheit.

Guru Amar Das, Ramkali M3

Das Zweitwichtigste beim Fortschreiten der Seele auf dem Pfad ist die Heilige Gemeinschaft, Sat-Sangat, da diese eine erhebende Wirkung auf sie ausübt. Die ganze Atmosphäre ist mit dem Lebensimpuls, der vom Meister übertragen wird, geladen, und die Ergebenen, welche an dieser Zusammenkunft teilnehmen, ziehen ungeheuren Nutzen daraus, wenn der Meister den Vorsitz führt. Es ist praktisch eine Schule, in der den Schülern durch Worte und Gedanken geholfen wird. Das ganze Mysterium des Wortes wird erklärt und den Ergebenen als das Ein und Alles für sie verständlich gemacht.

Sat Sangat (oder die Heilige Gemeinschaft) ist der Ort, an dem kein anderes Thema als das des Heiligen Naam oder des Wortes gelehrt und erklärt wird.

Guru Nanak, Sri Rag M1

Es wird dort keine Buchgelehrsamkeit der philosophischen Schulen verschiedener Geistesrichtungen vertreten. Ein Leben in der Gottheit ist die einzige Sache von Wert in dieser Richtung. Die Seele, Die Sich in Ihn erhoben hat und Sich Seiner allezeit bewusst ist, ist die bewegende Kraft der ganzen Gemeinschaft. Die innigen Blicke solcher gottberauschten Menschen erwecken nicht nur das schlummernde Empfindungsvermögen der Schüler, sondern bringen es nach und nach völlig in Gang. Ihre Augen sind voller Leben, da Sie in Einklang sind mit der Großen Urquelle des Lebens. Sie übermitteln denen, die zu Ihnen um Hilfe kommen, lebensspendende Strahlen. Ihre gnadenreichen Blicke befähigen die Schüler, die himmlische Musik – das Wort – zu fassen, welche in ihnen ertönt. Sie erlangen leicht den Reichtum der Spiritualität, wenn sie in dieser Heiligen Gemeinschaft sind. Durch Ermahnungen und Praxis wird ihnen auf ihrem Weg zum Göttlichen Ziel geholfen. So sind die Sucher nach dem höheren Leben durch den Einfluss vorbereitet, den sie von der magnetischen Auswirkung erlangen, welche durch die persönliche Aura gottberauschter Eingeweihter in der Heiligen Gemeinschaft hervorgerufen wird. Jeder hat ein bestimmtes Einflussgebiet, innerhalb dessen er alle, die in dieses hineinkommen, beeindruckt. Dieser Bereich des persönlichen Magnetismus ist der Kraft der jeweiligen Persönlichkeit entsprechend größer oder kleiner.

Es wird besonderer Nachdruck darauf gelegt, an diesen Heiligen Gemeinschaften teilzunehmen, und dies so sehr, dass der Sat-Sangat oftmals etwas höher bewertet wird als der Gottmensch Selbst. Dies wird durch die Tatsache offenbart, dass er außer dem Gottmenschen auch noch andere gottberauschte Ergebene einschließt. Die Heilige Gemeinschaft ist ein Ort, an dem die nach außen gehenden Neigungen und üblen Regungen des Menschen, der sie besucht, leicht gewandelt, geformt und der magnetischen Kraft des Meisters oben unterworfen werden. Der Meister bezeichnet den Sat-Sangat als den einzig Wahren Pilgerort, wo die Schüler dem Göttlichen Ziel, der Höchsten Spirituellen Ebene – Sach Khand – entgegenschreiten.

In einem Wahren Sangat wird die Verbindung mit dem Heiligen Naam – dem Wort – hergestellt. O Nanak, pflege keinen Umgang mit Menschen, die selbstische Ziele haben!

Guru Arjan, Gujri War M5

Wo keine solche Persönlichkeit ist, die den Vorsitz führen kann, können die Vorteile eines Satsang nicht genutzt werden.

Der Meister sagt:

Ohne einen Gottmenschen gibt es keinen Sangat, und ohne das Wort kann keiner das andere Ufer erreichen.

Guru Amar Das, Maru M3

Kabir sagt:

Ohne einen Gottmenschen gibt es keine Heilige Gemeinschaft.

Kabir, Gond Kabir

Ist der Meister abwesend und die Ergebenen sitzen in Gedenken an Ihn zusammen, erlangen sie die Segnungen des Meisters.

Christus hat gesagt:

Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.

Matthäus 18:20

Die dritte Notwendigkeit beim Fortschreiten der Seele ist das Wahre Naam – Shabd oder das Göttliche Wort –, das der Wahre Meister lehrt. Das Heilige Naam hat zwei Aspekte: Der eine kann in gesprochenen und geschriebenen Worten mit Hilfe der Lippen und der Zunge oder mittels einer Feder erklärt werden und wird Varan Atmak Naam genannt. Der andere Aspekt kann als solcher nicht ausgedrückt werden und ist bekannt als Dhun Atmak. Die Wiederholung von Varan Atmak Naam wird für Simran-Zwecke auf vier verschiedene Arten gebraucht:

  1. mit der Zunge, 
  2. in der Kehle,
  3. im Herzen und 
  4. im Nabel.

Diese Methoden werden entsprechend folgendermaßen benannt:

  1. Baikhri, 
  2. Madhima, 
  3. Paschanti und 
  4. Pra.

Durch die Wiederholung auf eine der oben genannten vier Arten wird Antish Karan, das Gewissen, gereinigt und man erlangt einige übernatürliche Kräfte, wie die Vorausschau und Hellsehen; aber der Gebrauch derselben wird ausdrücklich missbilligt und untersagt. Glückseligkeit, Demut und Liebe für das Wort werden auf diese Weise ebenfalls ein wenig hervorgebracht. Da es sich hier um die unteren Zentren oder Chakras handelt, die zur Meditation im menschlichen Körper benutzt werden, wird dem Wahren Sucher angeraten, den konzentrierten Simran mit der Zunge des Gedankens am Zentrum hinter den beiden Augen – welches das sechste und höchste der sechs Zentren in Pind oder dem menschlichen Körper ist – zu üben. Naam, das über diesem Zentrum ertönt, zieht die Seele an wie ein mächtiger Magnet und bringt sie aus den niedrigen physischen Ebenen in die feinstofflichen und Spirituellen Bereiche empor. Der Aufstieg der Seele in die Spirituellen Regionen ist nur durch die Verbindung mit Naam möglich.

Dhun Atmak ist etwas in seinem Wahren Aspekt. So wird zum Beispiel der Ton, der von einer Glocke ausgeht, tun-tun genannt. Man kann es nicht so einfach mit Worten erklären, doch das Wort oder der Ton erklingt in den lebendigen Tempeln aller physischen Körper. Das Tonprinzip hat die Macht, die Seele des Menschen zur Höchsten Spirituellen Region zu bringen, von der Es ausgeht. Diese himmlische Musik rührt vom Inneren Licht her und geht aus Ihm hervor.

Mit den Worten des Meisters gesagt:

Im Innern ist das himmlische Licht, und aus Ihm geht ein Ton (Bani) hervor; eine Verbindung mit Ihm bringt die Seele in Einklang mit dem Herrn.

Guru Nanak, Sorath M1

Er darf aber nicht mit dem Ton verwechselt werden, der durch den Blutkreislauf usw. entsteht und durch die Ohren vernommen wird, denn dieser bezieht sich einzig und allein auf die Elemente.

Dieser Aspekt von Naam ist, obgleich man ihn nicht zum Ausdruck bringen kann, dennoch sehr real und ewig. Es ist ein transzendenter Spiritueller Strom, der von Gott ausgeht und die ganze Schöpfung durchdringt. Es gibt keine Worte, die seine Wahre Bedeutung genau bezeichnen oder beschreiben.

Der Meister aber beschreibt es folgendermaßen:

Die 52 Buchstaben des Alphabets und die drei großen Aufteilungen – die rein Spirituelle Region, die spirituell-materielle und die materiell-spirituelle Region – sind in diesem Wort. Alle Buchstaben können wegfallen, aber dieses Wort wird ewig bestehen.

Kabir, Gauri Kabir

Das Heilige Wort oder Naam ist allein ein Geschenk des Meisters. Ohne dieses kann Gott nicht erkannt werden.

Wahr ist Sein Wort und wahr Seine Ewige Musik (Bani). Ein Wahrer Gurumukh kann Es vernehmen. Durch Sättigung mit dem Wahren Wort wird Verzicht erreicht, und das Kommen und Gehen hat ein Ende.

Guru Amar Das, Maru M3

Kabir sagt:

Das Wort zieht die Seele wie ein Magnet zu den Spirituellen Bereichen empor. Ohne Hilfe des Wortes kann sich keiner über den Körper erheben, mag er versuchen, was immer er will.

Und:

Wenn das Wort berührt wird, hat man den Herrn gefunden, und dann ist alles Mühen von Erfolg gekrönt.

Guru Amar Das, Sri Rag M3

Ohne das Wort ist die ganze Welt entfremdet, und keiner kann etwas daran ändern. Wen auch immer der Herr erretten will, wird auf das Wort abgestimmt.

Guru Amar Das, Shalok M3

Ohne das Wort kann man den Geliebten nicht finden, und die menschliche Geburt war dann umsonst.

Guru Amar Das, Sri Rag M3

Mein Herr, der Ewig-Seiende, wird durch die Praxis des Wortes (des Heiligen Naam) gefunden. Er ist unvergänglich; weder kommt Er, noch geht Er. Bleibe in Verbindung mit Ihm, Der alles durchdringt, und meditiere nicht über einen, der an das vergängliche Rad gebunden ist.

Guru Amar Das, Gujri War M3

Soami Shiv Dayal Ji, indem Er von Shabd spricht, berichtet uns:

Wahrlich wunderbar ist die Kraft des Shabd, wie kann ich beschreiben die Glorie von Shabd?

Jene, die geschmeckt haben die Süße von Shabd, sie allein kennen die Größe von Shabd.

Jeden Augenblick empfinde ich die schützende Macht des Shabd; wie vermag ich zu schildern die Grandeur des Shabd?

Ohne den Shabd wandelt man in Unwissenheit und kennt nicht den Wert des Shabd.

Jene, die das Geheimnis lösten des Shabd und intensive Liebe haben für den Shabd und die Shabd im rechten Ernste praktizieren, solcher Art sind die wirklich Gesegneten.

Niemand kann das Gemüt kontrollieren ohne den Shabd; darum stimmet euch nun ein auf den Shabd.

Vergebens geht dahin die menschliche Geburt, wenn man nicht erlangt den Schatz von Shabd.

In den Tiefen der Seele widerhallt der Shabd; warum lauschet ihr nicht den Charakteren von Shabd? Sitzt in Einsamkeit und bringt euer Gemüt zum Schweigen, denn nur dann sollet ihr offenbart haben den Shabd.

Befreit euch von Trägheit, Müdigkeit und Niedergeschlagenheit und verbleibt immer in Verbindung mit dem Shabd.

Der fünf-tönige Shabd widerhallt im Inneren; lernet nun zu lauschen auf Shabd.

Der Meister ermöglicht das Wissen über den Shabd. Meditieret nun über den Shabd.

Ich habe viel dargelegt über den Shabd, doch leider kümmert sich niemand zu folgen dem Shabd. Für nichts verwirken jene das menschliche Leben, die nicht ergreifen die Rettungsschnur von Shabd. 

Ich, meinerseits, beende nun diesen Diskurs über den Shabd. Keiner, nur der ausersehen ist, erlangt den Shabd.

Die Verbindung mit dem Wort oder Shabd ist die einzige Wahre Verehrung. Ohne diese Praxis vermag nichts die eingewurzelten üblen Neigungen des Gemüts auszurotten. Wer immer über die sich schnell ausbreitenden Verzweigungen des Gemüts klagt, hört nicht die Musik des Wortes. Doch im Verlauf der Zeit schleicht sich die Unwissenheit ein, und die erhabenen Wahrheiten, welche durch die Meister kundgetan wurden, bleiben unverstanden, und ihre Wahre Bedeutung wird aus den Augen verloren.

Im Guru Granth Sahib erscheint sehr häufig der Begriff Gur-Bani – das Wort. Wo darin der Ausdruck Shabd vorkam, glaubten manche, dass damit die Hymnen gemeint seien, die im Guru Granth Sahib niedergelegt sind. Dies rührt daher, dass sie von dem bewussten Tonstrom oder dem Wort nichts wussten, das in der ganzen Schöpfung und durch sie hindurch erklingt. Wir wollen uns dem Guru Granth Sahib selbst zuwenden, um zu ermitteln, was er darüber zu sagen hat. Die nun folgenden Hymnen werfen genug Licht auf die Tatsache, dass das Wort etwas Bewusstes ist und dies viel mehr, als Worte zu schildern vermögen.

Wenn wir uns mit Shabd verbinden, erheben wir uns in ein neues Leben. Der Weg zur Erlösung führt über Shabd. Körper und Gemüt werden gereinigt durch Shabd; selbst Gott wird auf der Ebene des Gemüts verdeckt. Ohne die Verbindung mit Shabd sind wir blind und taub, und die menschliche Geburt war umsonst. Ohne den Nektar von Hari Naam zu kosten, ist das Leben nur ein Schatten, eine Fata Morgana, und man bleibt endlos im Zyklus der Geburten und Tode. Gleich schmutzigen Würmern fühlen wir uns wohl im Unrat eingehüllt in den Schleier höchster Unwissenheit.

Guru Amar Das, Sorath M3

Jene, die das Wort nicht kennen, sind blind und taub, denn sie sehen nicht Sein Licht und hören nicht Seinen lieblichen Gesang. Welchen Nutzen hat ihr Kommen in die Welt? Sie erfreuen sich nicht des süßen Elixiers von Hari Naam und verlieren für nichts das irdische Leben. Und weiter bleiben sie im endlosen Zyklus der Geburten und Tode. Schmutzigen Würmern gleich ziehen sie sich selbst in die Niedrigkeit der Sinneswelt. Wahrlich, ohne Vernunft fühlen sie sich wohl und gedeihen im Dunkel der Unwissenheit.

Guru Amar Das, Sorath M3

Und wieder:

Bani (das Wort) hallt durch die vier Yugas und kündet allen die Wahrheit.

Guru Amar Das, Sri Rag M3

Im Tonprinzip (Dhun) ist tiefe Konzentration; nun weiß ich, was Konzentration wirklich bedeutet. Das Wort, durch den Meister offenbart, ist unaussprechlich (Akath).

Guru Nanak, Ramkali M1

Der vollendete Meister enthüllt das Wahre Wort (Sachi Bani), das durch Sukhman führt und zu Sahaj (dem Zustand der Ausgeglichenheit) leitet.

Guru Arjan, Maru M5

Der Bani des Meisters (das Wort) erklingt in der ganzen Schöpfung.

Guru Arjan, Maru M5

Auch die Bezeichnungen Akath Katha, der unbeschreiblicher Gesang, Dhun, die Harmonie, Anhad Bani, die unbegrenzte Musik, wurden von Guru Nanak im Guru Granth Sahib gebraucht und sind alle gleichbedeutend mit ein und demselben Prinzip, nämlich Naam, Shabd oder das Wort. Das Wort liegt über dem Gesichtskreis von buddhi, der Denkfähigkeit, und wird nur gehört, wenn man sich über den Körper erhebt. Ein Verstehen des Wortes kommt allein, wenn Es sich der Seele direkt offenbart.

Alles Wissen und die Meditation rühren vom Tonprinzip (Dhun) her, aber was das Tonprinzip ist, kann nicht erklärt werden.

Guru Nanak, Sri Rag M1

Der Wahre Bani wird durch den Meister gegeben und erklingt im Sukhman.

Guru Arjan, Maru M5

Der Bani des Meisters durchdringt alles. Er geht von Ihm aus, und Er Selbst offenbart Ihn.

Guru Arjan, Maru M5

Die unübertreffliche Musik wird durch die Gnade eines Gottmenschen gehört; nur wenige gibt es, die sich mit Ihr verbinden.

Guru Nanak, Ramkali M1

Vollendet ist der grenzenlose Gesang (Anhad Bani) und der Schlüssel dazu ist bei den Heiligen.

Guru Arjan, Ramkali M5

Ein Heiliger gibt Seinem Schüler bei der Initiation volle Instruktionen über das Wahre Naam – das Wort. Er ist es, Der das Heilige Naam eingibt und Es den Initiierten offenbart. Er zeigt ihnen auch, dass die Schätze der Gottheit in ihnen verborgen sind, und Er sagt (im Jap Ji, Strophe 6), wie sie mit Ihr in Verbindung kommen können.

Dieser Körper ist der Heilige Tempel Gottes. Das Licht des Allwahrhaftigen scheint darin. Unvergleichlich sind die Kleinode, die im Tempel des Körpers verborgen sind; aber wenige gibt es, die sie durch die Weisungen des Meisters finden.

Guru Ram Das, Gauri War M4

Schule deinen Körper, dein Gemüt und meditiere über das Wort des Meisters. O Nanak! Forsche im Körper nach den Schätzen von Naam. Durch die grenzenlose Liebe des Meisters kannst du sie finden.

Guru Amar Das, Asa M3

Der Bani des Gottmenschen ist in jedem von uns. Er geht von Gott aus, und Er Selbst macht Ihn hörbar. Wer auch immer sich mit dem Wort verbindet, wird erlöst und erreicht die Ewige Region der Wahrheit. *Das Bani – das Wort – des Gurus wird im Sukhmana gehört, es stimmt einen auf den Sehaj-Zustand – Zustand des Gleichgewichts – ab.

* (Die Übersetzung dieses Abschnitts ist an die
englischsprachige Zweite Edition von 1964 angeglichen;
Anm. d. Redaktion 2011.)

Wie der Meister sagt, sind vier Dinge von bleibendem Wert, während alles andere im Verlaufe der Zeit dem Verfall und der Zerstörung unterworfen ist. 

Es sind dies

  1. Naam oder Bani,
  2. Sadh oder eine entwickelte Seele, die sich selbst im Vater sieht und den Vater im Meister,
  3. der Meister, das Personifizierte Wort – Guru – und
  4. der Herr – Gobind

Wer auch immer mit Ihnen ein Bündnis schließt, wird erlöst und überschreitet den Bannkreis der Zerstörung.

Naam allein ist Ewiger Reichtum. Alle anderen Schätze kommen und gehen. Feuer kann diesen Reichtum nicht verbrennen, und Diebe können ihn nicht stehlen. Dieser Reichtum des Herrn durchdringt die Seelen aller und ist immer mit der Seele. Er wird durch den vollendeten Meister gefunden und fällt niemals einem zu, der sich dem Sinnesleben hingibt. In der Tat groß ist der Kaufmann, o Nanak, der den Reichtum von Naam erwirbt.

Guru Amar Das, Gujri War M3

Guru Gobind Singh, der zehnte Guru der Sikhs, hinterließ dem Sikh-Heiligen ein bleibendes Fundament. Er gab uns die mystische Form des Guru Granth Sahib als maßgebenden Führer und als Richtschnur. So können menschliche Irrtümer, die sich durch Unwissenheit einschleichen, vermieden werden. Die Darlegungen der Heiligen aus nahezu allen Glaubensrichtungen – der Hindus, Mohammedaner, Brahmanen und anderen –, finden alle gleichermaßen einen Platz im Guru Granth Sahib. Dies zeigt, dass die Spirituellen Führer trotz der verschiedenartigen Gemeinschaften gleich willkommen waren, um an dieser himmlischen Festtafel teilzuhaben. Als ein praktisches Beispiel möge dienen, dass Guru Nanak den Bhai Bala, einen Hindu, und Mardana, einen Mohammedaner, als ständige Gefährten auf Seinen Reisen durch ganz Asien bei Sich hatte. Die ganze Menschheit, ohne Unterschied des Glaubens und der Rasse, ist auf dem Weg der Spiritualität willkommen, lehrte Er.

Guru Gobind Singh hat im Guru Granth Sahib deutlich einen Weg zu Gott durch Shabd, das Wort, gezeigt. Hinsichtlich dessen machte Er den Sat Sangat oder die Heilige Gemeinschaft, die sich aus fünf Piaras, oder Geliebten Gottes, zusammensetzt, zur Pflicht und nannte sie die Khalsas – die Reinen. Er verstand nach Seiner Definition darunter Diejenigen, Die im vollen himmlischen Licht erstrahlen, und Er versprach, immer und für alle Zeiten in Ihnen gegenwärtig zu sein.

Seine eigenen Worte sind:

Khalsa ist meine eigene Form, und ich wohne in ihr.

Der Meister schärft dem Schüler (Sikh) ein, nur von solchen Khalsas oder Reinen die Initiation zu erbitten, Die als Pahul oder Amrit bekannt sind. 

Er sagt: 

Wer auch immer langes Haar trägt ohne Pahul von den fünf Khalsas (den Reinen oder Piaras), der trägt nur das äußere Kleid und ist der Unwissendste im Gefolge.

Die Khalsas sind die Sadhs, von Deren Ruhm der Guru Granth Sahib in Bänden spricht. 

Guru Nanak war eine Personifizierung von Shabd. Er wechselte Seine Form und kam als Guru Angad, Der Sich in Guru Amar Das umwandelte, Welcher Sich wiederum als Guru Ram Das erhob und dann in Guru Arjan Dev überging. Shabd verkörperte Sich weiterhin, bis Er die Form von Guru Gobind Singh, dem zehnten Guru der Sikhs, annahm, Der deutlich machte, dass Er für alle Zeiten in den Khalsas – den Reinen – weiterleben werde. 

Natürlich haben alle Heiligen Ihr immerwährendes Dasein in der Form von Shabd versprochen. Die Khalsas sind somit das Personifizierte Wort, das Wort in Ihnen und Sie im Wort. So stellt Guru Gobind Singh die Dreieinigkeit der Religion im Sikh-Heiligtum auf eine dauerhafte Grundlage:

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Erläuterung: 1) Es gibt 68 Pilgerorte in Indien.