Ein Großer Prediger von Frieden und Harmonie

Eines Tages ging der Guru in den Fluss Ravi zum Baden. Eine Stimme aus der Musik des Wassers kam zu Ihm und sprach:

O Nanak, Ich bin mit dir. Ich habe dir meinen Namen gegeben. Sei du diesem Namen ergeben. Wiederhole meinen Namen – Sat Naam. Verbinde dich mit Menschen, die unbefleckt von der Welt sind. Verehre meinen Geist und meine Kraft. Meditiere über meine Herrlichkeit. Und diene den Armen und Bedürftigen wie dir selbst.

Kaum hatte Er diesen Ruf erhalten, so verließ Er, wie Buddha und Mahavira, Heim und Herd, um die Menschen näher zu Gott zu bringen, so dass sie sich des ekstatischen Glücksgefühls erfreuen können, das in ihnen unentdeckt lag. Die Leute wunderten sich, warum Er Frau und Kinder verließ. Auf ihre Sticheleien hin erwiderte der Guru:

Ich überlasse sie der Sorge Dessen, Der sich um uns alle sorgt. Die Welt ist in dem Griff tödlicher Flammen und ich gehe, um das unsichtbare Feuer, das die ganze Menschheit einhüllt, auszulöschen.

Wenn wir kritisch, mit einem vom Meister erleuchteten Auge, schauen, werden wir entdecken, dass wir in dem Heiligen Hügel Gottes wohnen. Alle Orte der Verehrung wurden nach dem Muster des menschlichen Körpers geschaffen, dem Gott-geschaffenen Tempel für unsere Anbetung. Die Hindu-Tempel sind kugelförmig und an der Spitze einem menschlichen Kopf ähnlich. Die Moscheen haben außer der Mittel- und den Seitenkuppeln Bogen in der Form der Stirne. Die Kirchen und Synagogen haben Türme, die nach oben spitz zulaufen und eine Nase bilden. Wiederum sind die Gläubigen in den verschiedenen Religionen der Meinung, dass Gott Licht und Ton ist. Die Symbole des Inneren Lichtes und Tones schmücken alle unsere Orte der Verehrung in Nachahmung der Wirklichkeit im Inneren. Aber die Wahre Verehrung liegt im Öffnen des Inneren Auges, des Einzelauges oder Shiv Netra, um das Göttliche Licht zu sehen, und im Öffnen der Inneren Ohren, um die Göttliche Musik zu hören, den Akash Bani oder Bang-e-Ilahi. Äußerliche Verrichtungen, ohne dass man einen Schimmer von dem Geist und der Kraft Gottes erblickt hat – dem Licht- und Tonprinzip –, sind ähnlich einem Blinden, der sagt: „Gott ist Licht“, obwohl er nie gewusst hat, was Licht ist. Die Offenbarung des Jyoti oder Noor im Inneren ist eine Schau Gottes und wird auch Darshan genannt. All dies und noch viel mehr kommt durch die Gnade eines Kompetenten Meisters. Mit dem richtigen Aufnehmen und dem rechten Verständnis folgen rechte Rede und rechte Taten ganz von allein. Das Reich Gottes, um das wir so inbrünstig tagein und tagaus beten, wird dann tatsächlich auf Erden kommen.

Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden, denn siehe, das Reich Gottes ist in euch,

dies sagen alle die Weisen und Seher.

Guru Nanak wollte die Religion erneuern, sie vom Förmlichen und Herkömmlichen zu etwas Einfachem und Brauchbarem erheben. Etymologisch stammt der Begriff Religion von den Wurzeln re – zurück – und ligo oder ligare – binden. Religion ist demnach etwas, das die Seele mit der Überseele oder Gott verbindet oder vereint. Wenn Meister kommen, so haben diejenigen, die dem Meister begegnen und in nahe Berührung mit Ihm kommen, diesen größten Vorteil der Verbindung mit dem offenbarten Licht und Ton Gottes. Soziale Religionen entstehen erst nach dem Hinscheiden der Meister. Sie werden zweifellos mit einer edlen Absicht geschaffen, nämlich um die Lehren ihrer Gründer lebendig zu erhalten. Solange erfahrene Menschen in den sozialen Gemeinschaften verbleiben, haben die Anhänger den Nutzen wie zuvor. Später nehmen diese sozialen Ordnungen aus Mangel an solchen kundigen Menschen starre Regeln an, und eben diese Institutionen, die mit den edelsten Absichten und besten Motiven errichtet wurden, werden eisenvergitterte Gefängnisse; sie beginnen zu erstarren und befassen sich mit Haarspaltereien, wobei der Geist unter der Menge toten Wortschwalls verloren geht.

Der Zweck religiöser Erziehung ist, das Beste aus dem Menschen zu holen und ihn zu einem vollständigen Ganzen zu machen, sowohl körperlich und gefühlsmäßig als auch verstandesmäßig und spirituell. Die Religion ist die beste, die immer mehr ideale Menschen mit einer harmonischen Entwicklung in allen Teilen hervorbringt. Das höchste Ziel der Sikh-Religion ist es, Khalsas hervorzubringen. Ein Khalsa ist einer, der in seinem Inneren Pooren Jyoti – das erhabene Licht Gottes in vollem Glanz – schaut. Ähnlich ist ein Hindu einer, der in sich selbst das Jyoti des Ishvara offenbart und auf die ewige, unübertreffliche Musik der Seele hört – Anhand und Anhat Nad, deren Symbole er äußerlich in seinen Tempeln und an seinen heiligen Altären anbetet und verehrt durch Anzündung von Kerzen und Anschlagen von Glocken.

Ein Wahrer Moslem ist einer, der das Noor von Allah oder das Licht Gottes sieht oder das Kalam-e-Kadim – die Stimme Gottes, die uralte Musik oder den Gesang, der ohne Unterlass in ihm erklingt – hört. Ähnlich ist ein Wahrer Christ einer, der das Licht Gottes bezeugt und die Stimme Gottes hört, die ihn zu einem erwachten Geist auf dem Berg der Verklärung umformen.

Nanak legte großen Nachdruck auf die direkte Erfahrung der Gottheit, die in uns liegt; denn bloßes Lesen der Schriften und Beachten der Riten und Rituale zur Anbetung können nicht den Platz der Wirklichkeit einnehmen. Sie sind Grundstufen, aber nicht in sich selbst genug. Nanak war ein Dichter-Heiliger und ein Sänger des offenen Geheimnisses, ein Prediger des Geistes und der Kraft Gottes, die die Menschheit belebt. Er wanderte von Ort zu Ort, den Heiligen „Namen“ singend und die Liebe Gottes predigend. Er besuchte Hindu-Pilgerorte und heilige Altäre der Moslems und andere heilige Orte.

Er ist näher als der Lebensatem und näher als Hände und Füße.

Wie auch Laotse sagte:

Ohne dass man zur Tür hinausgeht, können wir doch das Wesen der Welt kennen.

Dieses Wesen wird Naam, Sat Naam, das Ewige Wort genannt. Er widmete Sein Leben, um die Praxis des Heiligen Wortes zu predigen. Er lehrte die Menschen, dass in dem Heiligen Wort eine große heilende Kraft verborgen war, die alle Übel des Lebens heilt.

Er liebte Hindus und Moslems gleichermaßen. Indem Er zu Hindus sprach, sagte Er:

Lobet und rühmet Gott fünfmal, wie die Moslems Allah fünfmal am Tage anbeten.

Zu den Moslems sagte Er:

Macht den Willen Allahs zu eurem Rosenkranz. Seid ein Wahrer Muselman, nachdem ihr eurem kleinen Selbst entsagt habt.

Auf diese Worte riefen einzelne Moslems unwillkürlich aus:

Gott spricht zu uns durch Nanak.

Auch als Er in Mekka war, legte Er den Grundstein des strengen Monismus oder der Einheit Gottes. Während Er die Weisheit des Propheten auslegte, äußerte Er den Namen „Allah“ mit derselben Verehrung wie Er es mit dem Namen „Hari“ tat. Als Sheikh Farid Ihn erblickte, begrüßte er Nanak mit den Worten: „Allah Hu“ oder „Du bist Allah“.

Der Guru erwiderte:

Allah ist das einzige Ziel meines Lebens, o Farid! Allah ist die wahre Essenz meines Wesens.

Alle rufen den einen Gott mit verschiedenen Namen an, sei es Ram, Rahim, Allah, Wah-e-Guru oder so ähnlich.

Es gibt so viele Gottliebende und Er ist die lebensspendende Kraft für sie alle. Obwohl sie das Merkmal verschiedener Religionen tragen, haben doch alle das gleiche Ideal vor Augen – den innewohnenden Geist zu verehren, der mit so vielen Namen bezeichnet wird.

„Es gibt keine Kaste“, sagte der Guru, „wir beanspruchen Bruderschaft mit allen.“

Jeder Seiner Anhänger wurde liebevoll als ein Bhai oder Bruder angesprochen. Alle sind Bhais – Brüder, ob Könige oder Sklaven, Reiche oder Arme.

Keine Kaste und kein Glaube zählt im Reich des Herrn. Wer Ihn verehrt, ist Ihm teuer,

sagte der Guru.

Er verkehrte frei mit den Armen, den Unterdrückten, den Ausgestoßenen und den Vernachlässigten. Einladungen von Armen zog Er denen von Reichen vor, denn Er wusste, dass Letztere Ihn zur Selbstverherrlichung einluden und dass ihre Einkünfte alles andere als rechtschaffen waren.

Er betrachtet keine Sünde für größer als den Geist der Trennung, der dem Zusammenhalt des Lebens in der Bruderschaft der Menschen widersprach und auf Zerstörung der Gesellschaft hinwirkte. Dieser Prophet der Einheit und des Einsseins sah die höhere Übereinstimmung in all den Glaubensrichtungen in der Religion des Menschen – der Verehrung Gottes und den Dienst am Gottmenschen. Er wollte, dass Anhänger aller Glaubensrichtungen als Wahrheitssucher zusammensitzen und Verbindung mit dem Allmächtigen suchen. Die höchste Religion lehrt uns, ehrfurchtsvoll zu studieren und in vollem Bewusstsein die lebendige Gegenwart Gottes zu erleben, wie gleich gesinnte Schüler einer Klasse. Als Er in Mekka gefragt wurde, ob Er ein Hindu oder Moslem sei, erklärte Er offen und frei, dass Er weder das eine noch das andere sei, insbesondere deswegen, da Er den Geist Gottes in beiden erblicke.

Als Er gefragt wurde, welche der beiden Religionen, Hinduismus oder Islam, überlegen sei, sagte Er:

Ohne gute Taten werden die Bekenner beider Religionen zu Grunde gehen.

In einer Seiner Hymnen sagt Er:

Wem die Täuschung des Gemüts geschwunden ist, dem sind Hindu und Moslem gleich.

In Bagdad fragten Ihn die Leute, zu welcher Gemeinschaft Er gehöre und Er erwiderte:

Ich habe allen Gemeinschaften entsagt. Ich kenne nur den einen Wahren Gott, das Höchste Wesen, Das auf Erde und Himmel ist, und zwischen Himmel und Erde und in allen Richtungen.

Als Er weiter bedrängt wurde, wer Er wirklich sei, erwiderte Er:

Dieser Körper ist zusammengesetzt aus fünf Elementen, wird durch das Licht Gottes erleuchtet und wird nur als Nanak bezeichnet.

Immer wieder warnte Er Seine Schüler vor der Sünde der Trennung.

In einem schönen Absatz erklärt Er:

Zahllos sind Deine Verehrer und zahllos jene, die Dich lieben, zahllos Deine Bhaktas und Heiligen, die liebevoll ihre Gedanken auf Dich heften. Zahllos sind die Musikinstrumente und ihre Weisen, und ebenso zahllos Deine Musiker.

Im Laufe Seiner Reisen hatte Er zwei Begleiter, der eine ein Hindu und der andere ein Moslem: Bhai Bala und Bhai Mardana. Er verströmte Seine Liebe an alle und Er schätzte alle Konventionen, Glaubensrichtungen, Kasten und Farbschranken gering. Er war ein Bruder der Armen, der Sündigen und der Verfolgten. Sein Sozialismus, der von Gott kam, und nicht vom Wesen her atheistisch war, vibrierte von Liebe. Aus einer Schau von Gottes Liebe herrührend, strömte Seine Liebe in die Herzen der Menschen als Brüder in Gott.