Praxis des Surat Shabd Yoga

Es gibt drei Phasen des Surat Shabd Yoga, nämlich Simran, die Wiederholung oder das Erinnern, Dhyan, die Kontemplation und Bhajan. Simran besteht darin, sich wiederholt an eine bestimmte Sache zu erinnern. Die vollständigen Einzelheiten dieser Praxis können von einem Vollendeten Meister erhalten werden. Am Anfang ist Simran Varan Atmak, d.h. er wird mit gesprochenen Worten praktiziert. Später wird er jedoch mittels der ,Zungeʽ der Gedanken ausgeführt. Wenn er fest etabliert wird und die Kraft, in der Konzentration zu verweilen, entwickelt ist, erscheint das Innere Licht und auch die schöne astrale Gestalt des Meisters, Guru Dev. Diese Gestalt zieht die Seele zu Sich hin und auf diese Weise wird die Kontemplation vollendet. Das zu kontemplierende Ziel, die Kontemplation und der Kontemplierende werden Eins. Das Ideal, die Kontemplation und der Handelnde werden Eins.

Wenn ein Schüler sich immer wieder an ein Ideal erinnert und die Augen der Kontemplation immer wieder darauf richtet, wird das Nirat oder die Sehkraft der Seele, Seine Form visualisieren und Seine Wirkung aufnehmen. Auf diese Weise ruhen die Seele und die Sehkraft der Seele in ,ruhiger Beständigkeitʽ und die Göttliche Melodie wird während der Kontemplation gehört. Der Sucher sollte die Aufmerksamkeit der Seele auf die vom Meister beschriebene Melodie richten. Die Kraft der Sprache sollte im Simran oder in der Wiederholung aufgehen, die Kraft des Sehens in der Kontemplation und die Kraft des Hörens im Dhun Atmak oder dem Unaussprechlichen Naam. Der Schüler sollte seine Zunge, Augen und Ohren mit Simran, Kontemplation und der Göttlichen Melodie versiegeln.

Schließe die drei Öffnungen (Ohren, Augen und Mund); führe keine lauten Rezitationen durch. Schließe die äußeren Öffnungen und öffne die Inneren. Schließe die drei Öffnungen und wiederhole den Namen des Makellosen; die Inneren Öffnungen werden sich erst öffnen, wenn die äußeren geschlossen sind.

Kabir

Diese drei Übungen werden im Augenzentrum durchgeführt, das auch das Dritte Auge und das achtblättrige Lotoszentrum genannt wird. Das Augenzentrum liegt zwischen den beiden Augenbrauen. Für die Praxis des Surat Shabd Yoga ist es notwendig, die Initiation von einem Vollendeten Meister oder Sant zu erhalten. Fortschritte in diesem Yoga werden in der Gesellschaft von Heiligen erzielt. Wenn der Herr Seine Gnade aus Seinem Ursprünglichen Zuhause sendet, nur dann erhält man den Segen, einem Wahren Meister zu begegnen und in Seiner Gesellschaft zu sein. Nachdem der Schüler einen Meister getroffen hat, braucht er keine formellen religiösen Riten oder Zeremonien zu befolgen. Der Meister bringt den Schüler durch Seine Gnade dazu, Surat Shabd Yoga zu praktizieren.

Durch Seine Gnade begegnet man einem Meister; und der Meister initiiert einen in die Praxis des Surat Shabd Yoga.

Majh M3, 110-1

Für die Übung dieses Yoga ist es notwendig, einen abgeschiedenen Ort abseits von Lärm zu haben. Um Innere Abgeschiedenheit zu erreichen, lehren die Meister eine perfekte Methode, bei welcher der Schüler die äußeren Tore verschließt und in ungeteilter Konzentration sitzt. Er wird gebeten, zu einer festen Zeit zu üben, morgens und abends. Zu dieser Zeit muss man seine Aufmerksamkeit auf den Sitz der Seele richten, welcher sich hinter den Augen, in der Mitte zwischen den beiden Augenbrauen befindet. Die Hindus nennen es das Dritte Auge oder Tisra Til und die Muslime Nukta-e-Sweda oder das Augenzentrum. Es ist nicht notwendig, Druck auf eine Vene oder einen anderen Teil des Körpers auszuüben. Es ist ausreichend, wenn man seine Aufmerksamkeit auf diesen Punkt im Körper richtet.

Dies ist der Punkt, der von Lord Krishna als in der Mitte der Nasenwurzel liegend bezeichnet wird. Während dieser Übung führt man den Simran, oder (die) Wiederholung, wie vom Meister angewiesen aus und kontempliert auch über Ihn. Man sollte keinen anderen Gedanken in sein Gemüt eindringen lassen. Auf diese Weise sollte man das Bewusstsein, das normalerweise jede Pore des Körpers durchdringt, im Augenzentrum sammeln und seine Aufmerksamkeit auf das Augenzentrum richten. Die vollständigen Einzelheiten dieser Praxis und auch der Schwierigkeiten und Hindernisse, welche dabei auftreten können, werden vom Meister zum Zeitpunkt der Initiation beschrieben, damit der Schüler sie vermeiden kann. Der Meister hilft dem Schüler auch innerlich und beschützt ihn.

Der Meister hilft beim Überwinden von Schwierigkeiten; der Ergebene erreicht sein Zuhause sicher und ist glücklich.

Basant M5, 1185-15

Es ist gefährlich, diesen Yoga ohne Initiation zu praktizieren, nachdem man nur Bücher gelesen oder von anderen darüber gehört hat. Maulana Rumi1 gibt denselben Rat. Er sagt, dass man einen Meister suchen sollte, denn ohne einen Meister ist dieser Pfad voller Risiken und Gefahren.

Er sagt:

Suche einen Meister für diese Reise; ohne einen Meister ist sie voller Risiken und Gefahren.

Was ist das Zeichen für Erfolg in der Praxis dieses Yoga? Es ist, dass man jegliches Bewusstsein für den Körper verliert. Am Anfang werden die Hände und Füße gefühllos, dann werden allmählich auch andere Teile gefühllos. Die Bewusstseinsströme, welche nach unten fließen und dem Körper Leben geben, sammeln sich im Zentrum der Seele – dem Augenzentrum – und der Rest des gesamten Körpers verliert das Bewusstsein. Solange man sich nicht vollständig über die neun Tore (Augen, Ohren, Nasenlöcher, Mund und die beiden unteren Öffnungen) erhebt, bleibt man gegenüber der Göttlichen Vision unwissend.

Solange sich ein Mensch nicht über das physische Bewusstsein erhebt, bleibt er ohne die Göttliche Vision.

Kabir Sahib sagt auch, dass die Seele, welche in den neun Toren umherwandert, den unbezahlbaren Schatz nicht finden kann.

Er sagt:

O schöne Jungfrau, du hast in allen neun Toren gesucht, aber hast den kostbaren Schatz nicht gefunden. O Kabir, die neun Tore enthalten ihn nicht; er befindet sich im zehnten Tor.

Kabir, Gauri 339-13

Wenn sich die Kräfte, die normalerweise an (den) oder durch die neun Tore(n) wirken, versammeln, wird die Göttliche Melodie gehört und das Innere Licht wird gesehen. Die Verbindung mit den grobstofflichen Sinnen hört auf und die subtileren Regionen werden sichtbar. Die Seele, (das) Gemüt und (der) Verstand werden feiner und reiner.

Dort finden Seele, Gemüt und Intellekt ihre wahre und richtige Form.

Jap Ji

Alle Fähigkeiten des Ergebenen verbessern sich. Die Fähigkeiten seiner Seele und seines Gemüts werden feiner. Der Intellekt wird geschärft. Wenn er den Melodien des Göttlichen Tons lauscht, werden die Geheimnisse aller höheren und feineren Spirituellen Regionen offenbart.

Wenn sich die Seele durch Simran oder Wiederholung im Augenzentrum sammelt und die gestirnten Regionen, die Sonne und den Mond durchquert, erblickt sie die astrale Form des Meisters im Inneren. Diese Form begleitet den Schüler bis zum endgültigen Zuhause. Die Aufmerksamkeit des Schülers wird dann stark konzentriert. Er erreicht diese Stufe durch Simran oder Wiederholung. Danach wird Simran nicht unbedingt benötigt. Der Schüler übt Verehrung und meditiert über den Guru, und nach und nach werden die beiden Eins. Er wird ,Fana-fil-Sheikhʽ (Eins mit dem Meister). Er geht im Meister auf. Der Hinweis, welchen die Gurus geben, wenn sie sagen: ,Verlasse dich selbst und gehe im Guru aufʽ, bezieht sich auf diesen Zustand. Auf diese Weise findet der Schüler automatisch den Weg in die höheren Regionen.

Wenn einer sich in die Gesellschaft des äußeren Gurus begibt, schaut er mit ungeteilter Aufmerksamkeit auf Seine Gestalt und in Seine Augen und erreicht infolge des wunderbaren Lichts und der magnetischen Anziehungskraft des Meisters einen hohen Grad an Konzentration. Seine Seele verlässt leicht den Körper und steigt in Innere Regionen auf und sieht dort verschiedene Szenerien. Abgesehen hiervon gibt es keine andere Methode, um sich leicht zu konzentrieren und die schönen Anblicke der Inneren Regionen zu sehen. Simran und Kontemplation sind nun vollständig und die Musik des Shabd, welche anfangs nur schwach zu hören war, wird nun deutlich wahrgenommen. Sie berauscht das Gemüt und beglückt die Seele.

Das Ziel von Simran ist es, die Seele hinter den Augen zu sammeln, damit dieses irdische Gefäß, der Körper, nach Belieben verlassen werden kann. Das Ziel der Kontemplation ist es, die Seele in den oberen Regionen still zu halten. Dies geschieht, indem die Aufmerksamkeit auf die Strahlende Gestalt des Meisters gerichtet wird. Die Funktion der Göttlichen Melodie ist es, die Seele nach oben in die höheren Regionen zu bringen. Wenn ein Schüler Zugang zur Strahlenden Gestalt des Meisters hat, kann er die Hälfte der Schlacht als gewonnen betrachten. Danach ist der Aufstieg in höhere Regionen sowohl leicht als auch freudvoll. Der Meister nimmt den Schüler durch das Strahlen Seines Lichts und die wunderbar süßen Melodien des Göttlichen Klangs mit Sich. Sie betreten die Region des tausendblättrigen Lotos, welche sich im Zentrum der astralen Region befindet und sehr strahlend ist. Hier treffen sie auf unzählige Rishis (Weise), Munis (Seher) und Mahatmas (heilige Männer), welche das Licht dieser Region genießen. Diese Region wird von ihnen Sahasrar oder die Region der Tausend Lichter genannt. In dieser Region legt die Negative Kraft dem Schüler gewisse Hindernisse in den Weg. Doch der Meister beseitigt sie und nimmt die Seele mit hinüber.

Guru Nanak hat sie in dem Abschnitt des Adi Granth2 beschrieben, welcher ,Merkmale der Treuen‘ heißt, und Tulsi Das Ji hat sie im Ramayana beschrieben.

Nachdem er viele andere Spirituelle Regionen durchquert hat, bringt der Meister den Schüler nach Sach Khand, der Wahren Region, welche sich jenseits sowohl der Auflösung als auch der großen Auflösung befindet.

Dies ist eine sehr kurze Darstellung des Surat Shabd Yoga. Nur ein hingebungsvoller Schüler erhält diesen Yoga von einem Vollendeten Meister. Durch Ihn erreicht er seine Ursprüngliche Heimat in Sach Khand, der Wahren Region.

Der hingebungsvolle Schüler verwirklicht den Herrn im Körper; für ihn ist die Göttliche Melodie das Erkennungszeichen des Herrn.

Asa M1, 414-6

Die Vorteile des Übens (von) Surat Shabd Yoga sind sehr groß. Die Innere Melodie und (das) Licht erscheinen und man beginnt, die Wahre Wirklichkeit zu erkennen.

Surat Shabd Yoga legt sein eigenes Zeugnis ab. Das Muschelhorn bläst und der Ergebene hört es.

Ramkali M1, 877-9

Der Weg des Yoga, des Wissens, der Hingabe, des Surat Shabd, der Wiederholung und der Entbehrungen – sie alle weisen auf Ihn hin. Wie Kette und Schuss führen sie zum Licht. O Nanak, die Ergebenen sind nicht von Schmerz und Kummer betroffen.

Kalyan M5, 1322-10

Alle Fehler, Zweifel und Egoismus werden zerstört.

Du begehst viele Missetaten und Sünden und bleibst ohne Surat Shabd Yoga im Zweifel. Egoismus ist eine tödliche Krankheit; nur indem man dem Meister gehorcht, wird sie geheilt.

Ramkali M1, 906-16

Durch das Praktizieren dieses Yoga erlangt man großes Glück.

Der Name des Herrn hat mein Gemüt durchdrungen; und jetzt brauche ich mich mit nichts anderem mehr zu befassen. Man ist glücklich, wenn sich das Gemüt auf die Göttliche Melodie konzentriert; eingestimmt auf den Herrn, bin ich glücklich.

Sri Rag M1, 62-3

Diejenigen, welche Surat Shabd Yoga praktizieren, werden vermittels der Spirituellen Kraft der Göttlichen Melodie oder Shabd von der Welt losgelöst und überqueren so den Ozean des Universums der Erscheinungen.

So wie der Lotos vom Wasser losgelöst bleibt, so wie eine Ente auf der Wasseroberfläche gleitet, überquere den Ozean der Existenz mit Hilfe des Göttlichen Tons, o Nanak, preise den Namen.

Ramkali M1, 938-15

Wo es keinen Surat Shabd Yoga gibt, ist die Stellung genau umgekehrt. Man verbrennt im Feuer der Sorgen, und die eigene Geburt in der menschlichen Form ist vergeudet.

Du hast die menschliche Geburt in einem Glücksspiel verloren, weil du nicht Surat Shabd Yoga praktiziert hast.

Bhairon M1, 1155-10

Der Galgen des Todesengels und der furchtbare Chaurasi (Zyklus der vierundachtzig) ist für jeden da. Deshalb sollte man sein Leben durch die Praxis von Surat Shabd Yoga fruchtbar machen, denn man hat die Geburt in der menschlichen Form nur durch große gute Fügung erlangt.

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Fußnote:

1) 1207–1273, Sufi-Weiser und -Poet, Schüler von Shamas-i-Tabrez. Praktizierte Naam und gab Es weiter. Bürgerlicher Name: Dschalal ud-Din Rumi.

2) Adi Granth: Ur-Buch der Sikhs; andere Bezeichnung für den Guru Granth Sahib.