I / (iii)

Die Wiederentdeckung verlorener Ufer

Der Strom des Lebens fließt unaufhörlich weiter im endlosen Lauf der Zeit; die Kraft des Zeitlosen erscheint und schwindet im Bereich der Relativität.

Bevor wir mit der Lebensgeschichte von Baba Jaimal Singh Ji fortfahren, lohnt es sich, einen Blick auf den Hintergrund zu werfen, der Ihn zu dem machte, der Er war. Es ist in der Tat die Kraft von Soami Ji, die Ihn bei allem, was Er tat, und wo immer Er wirkte, durchströmte, denn Er war gänzlich in Sich vertieft und dem Göttlichen in Sich hingegeben.

Um die Dinge in ihrer rechten Perspektive zu verstehen und die Geschichte unseres Spirituellen Erbes damit zu verbinden, müssen wir bis zu Guru Gobind Singh (1666–1708) zurückgehen, dem letzten der zehn Gurus in der Nachfolge von Guru Nanak.

Die Rani (Königin) eines Ratan Rao Peshwa kam, von Bhai Nand Lal begleitet, zu den Füßen Guru Gobind Singhs, um bei Ihm Zuflucht zu suchen.1

Guru Gobind Singh reiste weit umher von den Himalayas im Norden bis zu Dekkan im Süden. Während Seiner ausgedehnten Reisen begegnete Er der Herrscherfamilie der Peshwas, lebte bei ihr und weihte einige ihrer Angehörigen in die Innere Wissenschaft ein. Es heißt, dass ein Ratnagar Rao der Peshwa-Familie initiiert wurde und den Auftrag erhielt, das Werk Guru Gobind Singhs fortzusetzen.

Sham Rao Peshwa, der ältere Bruder von Baji Rao Peshwa, dem damaligen Regierungsoberhaupt, der mit Ratnagar Rao Verbindung aufgenommen haben muss, zeigte eine bemerkenswerte Eignung für den Spirituellen Pfad und kam rasch vorwärts. Im Laufe der Zeit siedelte sich dieser junge Nachkomme der königlichen Familie in Hathras an, einer dreißig Meilen von Agra entfernten Stadt in Uttar Pradesh, und wurde dort als Tulsi Sahib (1763–1843) bekannt, der berühmte Verfasser des Ghat Ramayana, der Wissenschaft des Inneren Lebensprinzips, das Mensch und Natur gleicherweise durchdringt. Die Vita Lampada, das Lebendige Licht, der Spiritualität wurde von Tulsi Sahib an Soami Shiv Dayal Singh Ji (1818–1878) weitergegeben.

Die Verbindung zwischen Tulsi Sahib und Soami Ji von Agra wird leicht übersehen, aber es gibt kaum einen Zweifel daran. Aus dem handschriftlichen Bericht von Baba Surain Singh, dem 'Jivan Chariter Soami Ji Maharaj' von Chacha Partap Singh und dem Buch 'Correspondence with Certain Americans' von Shri S. D. Maheshwari erfahren wir, dass Soami Jis Eltern Schüler des Heiligen von Hathras waren, Ihn häufig in Seinem Heim aufsuchten, um Seinen Darshan zu haben, und Seine Reden hörten, wann immer Er nach Agra kam. Er war es, Der den Söhnen von Lala Dilwali Singh Seth ihre Namen gab, nämlich Shiv Dayal Singh, Brindaban und Partap Singh.

Vor der Geburt des ältesten Kindes prophezeite Er, dass sich in ihrem Haus ein Großer Heiliger offenbaren werde; und nach der Geburt sagte Er den Eltern, dass sie nicht länger nach Hathras zu kommen brauchten, da der Allmächtige Herr nun in ihrer Mitte sei.2

Der Heilige von Hathras war eifrig und lebhaft daran interessiert, Soami Jis Leben nach Seiner eigenen Art zu formen. Er initiierte das Kind in sehr jungen Jahren und Soami Ji sagte Seinen Schülern in den letzten Tagen Seines Lebens, dass Er die Innere Wissenschaft seit Seinem sechsten Lebensjahr ausübe.3

Soami Jis Verehrung für den Heiligen von Hathras geht aus Seinem Leben klar und deutlich hervor. Er achtete die Schüler Tulsi Sahibs sehr und ehrte unter ihnen besonders den Sadhu Girdhari Das, den Er in seinen letzten Jahren unterstützte. Als der Sadhu einmal in Lucknow krank wurde, eilte Soami Ji aus Agar herbei und half ihm, die Verbindung mit dem Inneren Tonstrom, die er vermutlich aufgrund alten Karmas verloren hatte, vor seinem Ableben wiederzuerlangen.4

Des Weiteren nannte Soami Ji Seinen Anhängern häufig Beispiele aus dem Leben Seines Großen Vorgängers, um ihnen die Bedeutung von Tugenden wie Geduld, Nachsicht, Vergebung und Gottesfurcht nahezubringen.5

Vor Seinem Hinscheiden im Jahre 1843 hinterließ Tulsi Sahib Sein Spirituelles Erbe Soami Ji. Sechs Monate lang war Tulsi Sahib im Zustand des Samadhi (Spirituelle Ekstase) in das Göttliche Bewusstsein vertieft. Erst nachdem Soami Ji Ihn besucht hatte, verließ Er Seine sterbliche Hülle.

Baba Garib Das, einer der ersten Schüler Tulsi Sahibs, bestätigte, dass der Spirituelle Mantel von seinem Meister an Munshi Ji (wie Soami Ji damals wegen Seiner umfassenden Kenntnis des Persischen genannt wurde) übergegangen sei.6

Soami Ji verbrachte fünfzehn Jahre Seines Lebens in einem kleinen Raum in nahezu unaufhörlichem Abhyasa, Spirituelle Übung. Auch nachdem Tulsi Sahib nicht mehr war, besuchte Soami Ji weiterhin Hathras, um das Andenken Seines Lehrers zu ehren. Bei einem solchen Besuch in Hathras war, wie uns berichtet wird, die Hitze so groß, dass Ihn Seine Schüler Rai Saligram und Baba Jiwan Lal das letzte Stück der Reise zwischen sich nehmen mussten, da kein Transportmittel verfügbar und der Weg sehr uneben war.7

Die Hochachtung, die Soami Ji dem Granth Sahib entgegenbrachte, welcher die Lehren Guru Nanaks und Seiner Nachfolger enthält, scheint letztlich auf einer Familientradition beruht zu haben.

Das Vorlesen aus den Sikh-Schriften war in der Familie eine Glaubenssache. Sein Vater, Lala Dilwali Singh – ein Sahejdhari khatri Sikh und Nanak panthi – liebte das Jap Ji, den Raho Ras und Sukhmani, Sikh-Schriften, sehr, die Er täglich mit großer religiöser Inbrunst und tiefer Verehrung las. Eine Kopie des Sukhmani in persischer Schrift, aus der Hand von Soami Jis Großvater, Seth Maluk Chand, dem zeitweiligen Diwan des Staates Dholpur, wird noch in den Archiven des Soamibagh aufbewahrt.8

So durchdrang der Geist von Sant Mat Soami Jis ganzes Sein. In späteren Jahren hat Soami Ji zumindest bei einer Gelegenheit, als Er in Seinem Haus im Punni Gali das Jap Ji erörterte deutlich anerkannt, was Er dem Punjab spirituell verdankte, und dabei auf Guru Nanak und Seine Nachfolger als Quelle der Spiritualität hingewiesen wie auch auf Paltu Sahib und Tulsi Sahib, die späteren Großen Vertreter der Inneren Wissenschaft. – Mit dieser Begebenheit werden wir uns befassen, wenn wir im folgenden Kapitel das Leben Baba Jaimal Singhs Ji zurückverfolgen. –

Sein jüngerer Bruder, Rai Brindaban Singh, ein Postmeister in Ajodhia, war ein getreuer Schüler von Baba Madhodas aus Mahant Dera Rano Pali in Adjodhia. Wie sein älterer Bruder Shiv Dayal Singh glaubte er fest an den Gurbani und schätzte ihn sehr. Er war beständig in liebevolles Gedenken an den Herrn, Bishambar, vertieft und rühmte Ihn in schönen Versen, wie man aus seinen Werken unter dem Titel 'Wah-e-Guru-Nama' in seinem Urdu-Buch 'Bahar-i-Brindaban' ersehen kann.9

O Brindaban, lass alles andere beiseite und übe den Japa des großen Namens Wah-e-Guru! Dies wird dir nicht nur Körper, Gemüt und Seele reinigen, sondern auch Erlösung, Frieden und Glückseligkeit bringen.

Wir erfahren außerdem, dass zu der Zeit, als Lala Dilwali Singhs Ende nahte, sein Sohn Shiv Dayal Singh, Soami Ji, bei ihm saß und den Gurbani aufzusagen begann, um die Aufmerksamkeit Seines Vaters in dieser entscheidenden Stunde darauf gerichtet zu halten.

Indem er sich auf Baba Bhola Singhs Radhasoami Mat Darpan stützt, berichtet uns Giani Partap Singh in seiner Abhandlung über die Weltreligionen10, wie Soami Ji im Laufe der Zeit ein häufiger Besucher des Sikh-Heiligtums von Mai Than in Agra wurde, zum Gedenken an den Besuch des neunten Gurus, Tegh Bahadur, wo Sant Mauj Parkash, ursprünglich als Didar Singh des Nirmala-Ordens und als großer Sanskrit-Gelehrter bekannt, den Sinn des Gurbani oder der Sikh-Schriften klar erläutert hat. Aufgrund Seiner engen Verbindung mit Sant Mauj Parkash studierte Soami Ji den Gurbani und seine Bedeutung für den Surat Shabd Yoga und begann diese Heilige Stätte für Seine Vorträge über den Gurbani zu nutzen.

In seinem Lebensbild hat Chacha Partap Singh einen solchen Vortrag mit begeisterten Worten anschaulich beschrieben:

Es war ungefähr 8 Uhr morgens, als Maharaj eines Tages zum Gurdawara in Mai Than ging. Nachdem Er ein oder zwei Verse aus dem Granth Sahib vorgetragen hatte, fing Er an, ihre Bedeutung zu klären. Mit einer vollen und sonoren Stimme schienen die erhabenen Gedanken aus Ihm herauszufließen wie endlose Wogen einer unerschöpflichen Inneren Quelle. Ich war so überwältigt durch die Kraft Seiner Worte, dass ich mich plötzlich über den Körper und seine Umgebung hinausgehoben fühlte, allem verloren, was von dieser Welt war. Seit jenem Tag war ich ein ganz neuer Mensch und empfand ein starkes Verlangen nach dem Göttlichen, völlig überzeugt von der Größe Soami Jis und Seiner Heiligen Mission.11

Nach einiger Zeit verlegte Soami Ji den Treffpunkt für Seine Lehrgespräche in Seine Privatwohnung im Punni Gali und setzte Seine Vorträge aus dem Granth Sahib fort – die Kopie des von Ihm benutzten Buches brachte Hazur Sawan Singh aus Agra mit, und sie wird weiter in den Archiven der Dera Baba Jaimal Singh in Beas, Punjab, aufbewahrt. Diese Einrichtung, private Versammlungen in Seinem Heim abzuhalten, behielt Er für lange Zeit bei, doch am Basant-Panchmi-Tag im Jahre 1861 wurden die Schleusentore des Surat Shabd Yoga, wie er in diesem Zeitalter von Kabir und Seinem Zeitgenossen Guru Nanak neu belebt und von Seinen Nachfolgern im Gurbani fest verankert wurde, von Soami Ji für die Allgemeinheit aufgetan.

*Damit nicht irgendein Zweifel in den Gemütern der Skeptiker verbleibt, klärte Soami Ji, Der bis zuletzt damit fortfuhr, Menschen in das Geheimnis der traditionellen fünf-tönigen Melodie – Panch Shabd Dhunkar Dhun – zu initiieren, bedeutsam genug am letzten Tag vor Seinem Weggang von der irdischen Ebene, Seine Position jenseits des kleinsten Schattens eines Zweifels, indem Er erklärte:

Mein Pfad war der Pfad von Sat Naam und Anami Naam. Der Radhasoami-Glaube stammt von Saligrams Machart, doch lasst auch ihn währen. Und lasst den Satsang andauern wie zuvor; und derselbe soll aufblühen und gedeihen.

* (Die Übersetzung dieses Abschnitts ist an die
englischsprachige Vierte Edition von 1987, USA, angeglichen;
Anm. d. Redaktion 2011.)

Unter Soami Jis vertrauten und ergebenen Schülern war Rai Saligram Sahib Bahadur – in späterer Zeit allgemein als Hazur Maharaj bekannt, nachdem Er die Spirituelle Leitung übernommen hatte.

Während Hazur Maharaj nach dem Hinscheiden von Soami Ji die Vorträge im Pipal Mandi im Zentrum Agras weiterführte, leitete Partap Singh, der jüngere Bruder Soami Jis, der allgemein Chacha Sahib (verehrter Onkel) genannt wurde, das Werk im Radhasoami-Garten, drei Meilen von Agra entfernt.

Ein anderer Schüler, Baba Jaimal Singh Ji, einer der ersten und Spirituell fortgeschrittensten Schüler Soami Jis, ließ Sich, wie es der Große Meister Selbst bestimmt hatte, in Beas im Punjab nieder, um das Spirituelle Werk wiederzubeleben und bis zu einem gewissen Grad zu begleichen, was die Welt Guru Nanak schuldig war.

Wir wollen nun Leben und Werk dieses hervorragenden Spirituellen Sohnes von Soami Ji einer genaueren Betrachtung unterziehen.

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Quellen: 1) Vgl. Shri Des Raj, Hindu Sikh Ithras. 2) Chacha Partap Singh , Jivan Charitar Soamiji Maharaj, S. 6; Shri S.D. Maheshwari, Correspon-Pondence with Certain Americans, S. 221. 3) Chacha Partap Singh, Werk Zit., S.109. 4) Ibid., S. 33-34 5) Ibd., S. 93-96. 6) Jivan Charitar Babuji Maharaj, Vol. III, S. 29. 7) Ajodhya Parshad, Jivan Charitar Hazur Maharaj, S. 36. 8) Chacha Partap Singh, Werk Zit.S 5. 9) Lucknow: Nawalkishore Printing Press. 10) Sansar Da Dharmic Ithas. 11) Chacha Partap Singh, Werk, Zit., S. 52.