II / v – Teil II
Der Fackelträger

Die Zahl der Besucher, die zu Seiner Hütte in Beas strömten, nahm ständig zu. Und Seine Worte zu Bibi Rukko:

Hier wird eines Tages eine immer größer werdende Stadt mit vielen Häusern und Bungalows entstehen

wie auch der Hinweis des Gottberauschten Kahan, über den die Leute gelacht hatten:

Ich sammle diese Steine für die Stadt, die hier einmal erbaut wird

schienen sich schließlich zu bewahrheiten.

Baba Ji verbrachte den größten Teil Seiner Zeit in Beas, begab Sich aber auch des Öfteren in nahe gelegene Gebiete oder weiter entfernte Städte, um für die Spirituellen Bedürfnisse Seiner Anhänger zu sorgen.

Als Er einmal auf Wunsch einiger Schüler in Ambala war, bat Hukam Singh, ein Freund Seines ergebenen Schülers Moti Ram, der als Schneider für das dort stationierte britische Regiment arbeitete, um die Initiation.

Baba Ji lehnte es ab, seine Bitte zu erfüllen. Hukam Singh hielt sich an seinen Freund, der sich dann bei Baba Ji dafür einsetzte, jedoch ohne Erfolg.

Er ist für den Pfad noch nicht geeignet,

bemerkte der Weise. Aber Moti Ram ließ nicht nach, immer wieder bat er für seinen Freund.

Ich habe dir doch gesagt, dass sein Karma es nicht erlaubt. Was kann ich da machen?

– O Heiliger, umso mehr solltet Ihr Mitleid mit ihm haben, denn wer sonst hätte es, wenn nicht Ihr?

Moti Ram, dringe nicht weiter in mich. Ich würde lieber vierhundert andere initiieren als deinen Freund.

Ein Heiliger kann einem ergebenen Schüler nicht lange etwas abschlagen und würde für ihn selbst durchs Feuer gehen. Als Ihn Moti Ram wiederholt bedrängte, gab Er nach und fügte hinzu:

Doch sobald ich deinen Freund initiiert habe, werde ich keinen Augenblick länger hier bleiben, sondern sofort nach Hause fahren.

Getreu Seinem Wort packte Er, gleich nachdem Er die Initiationsanweisungen gegeben hatte, Seine wenigen Sachen zusammen und fuhr wieder nach Beas.

Allen, die den Wunsch äußerten, Ihm dorthin zu folgen, wurde gesagt, dass sie zwei Wochen später kommen sollten. Bei Seiner Heimkehr ging Baba Ji sofort zu Bett. Als Ihn Leute aus Beas aufsuchten, waren sie bestürzt, Ihn von einem tödlichen Fieber befallen zu sehen. Man schickte nach Ärzten und nach Medizin, aber Baba Ji nahm nichts. Etwa nach vierzehn Tagen ging das Fieber zurück und kaum hatte Moti Ram davon gehört, eilte er zu Ihm und bat um Vergebung:

Herr, wenn ich nur gewusst hätte, was es für Euch bedeutet, würde ich Euch niemals, nicht einmal für das Reich der drei Welten, gedrängt haben, meinen Freund zu initiieren.

Baba Ji war in mitteilsamer Stimmung und erzählte:

Das Karma von Hukam Singh war so schwer, dass er ohne diese Fürbitte in den nächsten sieben Lebensläufen die schwersten Leiden und Prüfungen hätte erdulden müssen.

Moti Ram dankte Ihm demütig für diese unermessliche Gnade, aber Baba Ji entgegnete mit der Ihm eigenen Bescheidenheit:

Es war der Wille des Herrn.

Die Güte Baba Jis strahlte wie die lebensspendende Sonne auf alle aus, die mit Ihm in Berührung kamen. Seine besondere Zuneigung aber galt, wie wir schon gesehen haben, Baba Sawan Singh.

Die Jahre 1894 bis 1903 waren durch regelmäßige Besuche von Baba Sawan Singh Ji Maharaj in Beas gekennzeichnet, die gelegentlich von Baba Ji erwidert wurden.

Der Weise nannte Seinen Lieblingsschüler ‘Babu Ji’. Er hatte Bibi Rukko erzählt, dass der stattliche Regierungsbeamte eines Tages Sein Nachfolger würde.

Als Er einmal in besonders gütiger Stimmung war, wandte Er Sich an Seinen Gurumukh mit der Bemerkung:

Du und ich, wir sind zum Wohl der Menschheit gekommen.

Sawan Singh entgegnete:

Sicher seid Ihr für die Erhebung der Menschheit gekommen, aber ich bin nur ein irrender Sterblicher.

Baba Ji wiederholte Seine Worte und Sawan Singh gab die gleiche Antwort. Da hob Baba Ji die Augenbrauen und sagte in lauterem Tonfall:

Babu Ji, ich spreche zu dir. Wir sind beide zum Wohl der Menschheit gekommen.

Sawan Singh saß da und schwieg.

Ein andermal sagte der Heilige von Beas zu Seinen Schülern:

Ich musste für das, was ich erreichte, schwer arbeiten, habe aber nie meine Schätze zur Schau gestellt, sondern sie verschlossen gehalten. Doch meine Mühen sollen Frucht tragen, und Der, Welcher meinen Mantel erbt, wird weit und breit bekannt werden.

Die Tage gingen dahin und Beas wurde zu einem strahlenden Zentrum auf der Spirituellen Weltkarte.

Er, Der niemals zugestimmt hatte, dass man Hallen und Häuser baute, gab schließlich den Bitten Seines geliebten Babu Ji nach, und so wurde während Seiner letzten Jahre ein Brunnen gegraben und eine Satsanghalle erbaut.

Wozu hier Gebäude errichten, wenn sie der Fluss wegschwemmen kann,

hatte Er protestiert, aber Sawan Singh war nicht davon abzubringen.

Selbst wenn Ihr hier nur einen einzigen Vortrag halten könnt und der Bau sofort danach zusammenbricht, werde ich mein Mühen reichlich belohnt finden.

Unterdessen waren die letzten Tage des Jat-Guru, wie Er Sich Selbst humorvoll nannte, nähergerückt. Sechs Monate vor Seinem Tode sprach Er zu Seinen Schülern von dem nahen Ende. Als Er hörte, dass Karam Singh aus Attock die Welt verlassen hatte, bemerkte Er:

Ich traf ihn immer in Delhi. Er war wirklich eine große Seele! Aber er wird nochmals geboren werden müssen, um volle Befreiung zu erlangen, da er in diesem Leben nicht Naam praktiziert hat. Ja, ja, mein Werk geht auch zu Ende, und ich werde ebenfalls bald gehen.

In Seinen letzten Tagen kamen viele Pilger nach Beas. Der Weise, Der einst Tag und Nacht in Meditation vertieft war, diente nun Tag und Nacht Seinen Ergebenen. Er gönnte Sich kaum drei oder vier Stunden Ruhe und widmete die übrige Zeit jenen, die Ihn aufsuchten, kümmerte Sich um ihre Probleme und spornte sie zu immer größerem Spirituellem Streben an. Die Schleusentore der Göttlichen Gnade waren weit geöffnet, und die, welche während der Tage unmittelbar vor Seinem Hinscheiden mit Ihm zusammen in Seinem Raum saßen, wurden Innerlich emporgehoben und gingen im Samadhi auf.

Der Bau der Satsanghalle war inzwischen fertig gestellt, und jedermann drängte Baba Ji, einen Vortrag zu halten.

Aber Er war dagegen und sagte:

Nein, nein, Gott will es anders. Mein Nachfolger wird Sich dort an euch wenden.

Bibi Rukko war ebenso unnachgiebig:

Wir werden Ihn natürlich anhören, wenn Seine Zeit gekommen ist, aber solange Ihr hier seid, lasst uns den Vorteil Eurer Gegenwart haben.

Baba Ji bestand darauf:

Es ist nicht Gottes Wille. Außerdem möchte ich, dass Babu Ji zu allen Anwesenden spricht, während ich noch lebe, damit es später nicht zu Streitigkeiten kommt.

Die Zuhörerschaft hatte sich versammelt und bat, Er möge Selbst sprechen. Auch Bibi Rukko bat und flehte, sodass Er schließlich nach vorne ging. Als Er aber eine oder zwei Stufen hinaufgestiegen war, hielt Er erneut inne und wiederholte, was Er zuvor gesagt hatte. Zum Erstaunen aller, die die Satsang-Halle betraten, sah man Baba Jis Gurumukh-Sohn, Hazur Sawan Singh, auf der Empore sitzen.

Schließlich kam der letzte Tag. Alle engeren Schüler standen in banger Erwartung beisammen.

Es war der 29. Dezember 1903. Vom Beas-Fluss wehte ein scharfer, kalter Wind herüber. Baba Ji schien zu warten und warf unruhige Blicke nach der Tür. Da kam ein Polizeibeamter herein, der um die Initiation nachsuchte.

Auf Sie habe ich gewartet,

sagte der Große Heilige, und ohne weitere Umstände begann Er Theorie und Praxis des Surat Shabd Yoga zu erklären. Kurz nachdem Er die Unterweisung gegeben hatte, legte Er Sich hin, schloss die Augen und streifte dieses irdische und verwesliche Kleid ab.

So ging einer der Größten Heiligen der Neuzeit, Dessen Leben eine einzige Lektion der Demut und Liebe war. Er hatte nicht an Schulen und Universitäten studiert, wohl aber das Buch des Lebens tief erforscht. Als Kind hatte Er die Heiligen Schriften vieler Glaubensrichtungen gelesen und Sich frühzeitig vielen Sadhans oder Spirituellen Übungen hingegeben.

Im Alter von achtzehn Jahren, in dem andere Menschen kaum eine geistige Reife erlangt haben, hatte Er bereits die Krone des Lebens erworben, die selbst den strengsten Yogis und eifrigsten Gelehrten versagt bleibt. Und dennoch brachte Er Seine übrigen Jahre in vollkommenster Demut zu. Sein einziges Streben war, Seinem Meister zu dienen und Dessen Botschaft nach besten Kräften weiterzutragen.

Die letzten aufgezeichneten Worte von Ihm sollen gewesen sein:

Mein ganzes Leben suchte ich nur meinem Meister zu dienen, und nun ist alle Arbeit, die Er durch diese armselige Hülle zu vollbringen hatte, getan.

Noch Seine allerletzte Stunde war diesem Dienst geweiht. Baba Jaimal Singh Ji war mehr als ein Beispiel dessen, was Er einmal an Seinen zukünftigen Nachfolger geschrieben hatte:

Heilige werden nicht für Sich Selbst geboren, sondern für die Befreiung der Menschheit.

Er sprach aus Innerer Erfahrung, nicht aufgrund von Buchwissen. Er hat ungefähr dreitausend Seelen initiiert, während die Zahl jener, die unbewusst durch Seinen Einfluss begünstigt waren, nicht zu benennen ist. Konnte man einen anderen finden, der so selbstlos war, so bereit stellvertretend für die Sünden anderer zu büßen, so grenzenlos in seiner Liebe und so unberührt von den äußeren Unterschieden einzelner Glaubensgemeinschaften und Bekenntnisse?

Wenn man in der Erinnerung nachforschte, mochte es einen Namen geben, der einem sogleich in den Sinn kam: der Guru Nanaks.

Und war es bloßer Zufall, dass der Soldaten-Heilige von Beas in demselben Bezirk (Gurdaspur) geboren wurde, in welchem der Große Heilige des Mittelalters nach dem Zeugnis Seines ständigen Begleiters und Biografen Bhai Bala vorhersagte, dass Er in künftiger Zeit im Hause eines Jat wiederkommen würde?

Baba Jis Schüler bemerkten die Ähnlichkeiten schon zu Seinen Lebzeiten und befragten Ihn einmal darüber. Der Weise lächelte geheimnisvoll und ging nicht auf die Frage ein.

Doch einige Minuten später bemerkte Er beiläufig:

Wenn Seelen wie wir unsere Gedanken äußern wollten, wer würde uns dann einen Augenblick Ruhe lassen und wer unsere Haut schonen?