Wir müssen aufrichtig sein

II

Als nächstes müssen wir ins Reich Gottes eingehen, unsere Wahre Heimat erreichen. Der Weg dorthin beginnt, wenn wir uns über das Körperbewusstsein erheben. Aber wie können wir es? Alle Schriften sprechen von dem Weg, der zurück zu Gott führt. Diesen Weg gilt es zu finden.

Es gibt so viele verschiedene Methoden, die wir anwenden können! Aber welche von ihnen ist die natürlichste, die leichteste und bringt uns am ehesten Ergebnisse, so dass wir die Wahrheit noch in diesem Leben erkennen können und nicht bis nach dem Tod warten müssen? In Kalifornien kam ein Mann zu mir und erzählte, sein Meister habe ihm gesagt, dass sein Inneres Auge geöffnet worden sei. Ich fragte ihn, ob er etwas im Innern sehe, worauf er antwortete: „Nein.“ Ich fragte ihn weiter, was ihn dies glauben mache. Er erwiderte, dass sein Meister es so gesagt habe und es daher so sein müsse. Ich riet ihm, nicht blindlings zu folgen, sondern die Dinge selbst zu sehen.

Ein anderer Mann kam und erklärte: „Mein Meister sagt, dass ich nach dem Tod erlöst sei.“ Ich fragte ihn jedoch: „Wo ist der Beweis dafür, dass es so sein wird?“ Die Leute wollen die Wahrheit, sage ich euch. Überall in der Welt sehe ich deutlich die Suche nach der Wahrheit. Die Menschen suchen jahrelang danach – in Büchern, durch Rituale und zahllose andere Mittel; aber sie haben keine praktische Erfahrung von ihm erhalten.

In San Francisco begegnete ich einem sehr gebildeten Mann; er ist der Organisator aller internationalen Religionskonferenzen, die jetzt in Japan, Frankreich, Deutschland und anderen Ländern abgehalten werden. Er hörte eine meiner Reden, in der ich dieses Thema behandelte. Am Ende gab er zu, dass das, was ich sagte, wahr sei und er das Licht Innen nicht gesehen habe. Ohne Zweifel streben die Menschen danach, und viele von ihnen sind sehr ernst, aufgeschlossen und lassen sich überzeugen.

So stellt sich die Frage: „Welcher der vielen Yogas ist der beste, rascheste und leichteste und der für unsere Zeit geeignetste?“

Die Meister lehren den natürlichsten Weg. Natürliche Wege sind immer die einfachsten. Einfache Dinge kann jeder überall befolgen. Selbst ein Kind sollte das Licht des Himmels im Innern sehen können. Es gibt so viele Yogapraktiken. Wir haben den Hatha-Yoga, der uns einerseits physische Gesundheit und einen kräftigen Körper gibt und andererseits den Weg für eine weite Yoga-Art, den Prana-Yoga, ebnet. Der Prana-Yoga ermöglicht einem die Kontrolle über das Atmungssystem im Körper und befähigt einen, die motorischen und sensorischen Ströme am Sitz der Seele im Innern zu sammeln. Der Körper wird nur als ein Klumpen Erde, ohne Atem oder Bewegung, zurückgelassen; dies wird in der Fachsprache „Kumbhak“ genannt. Wenn uns dieses Zurückziehen der Pranas (Lebensenergien) gelingt, sehen wir Innerlich das Licht Gottes und hören die Stimme Gottes. Das ist ein schwieriger und mühseliger Weg. Nicht jeder ist dafür geeignet. Nicht jeder kann ihn gehen. Der Körper muss gesund und kräftig sein. Dazu müssen wir eine lange Zeit Hatha-Yoga-Übungen durchführen, um ihn tauglich zu machen; erst dann können wir diesen Weg aufnehmen. Jene, die körperlich nicht kräftig genug sind, wenn sie ihn gehen, werden von verschiedenen Krankheiten befallen.

Als nächstes sei der Laya-Yoga genannt, der sich mit dem Erwecken der „Kundalini“ oder Schlangenkraft befasst. Auch er wird durch die Atemkontrolle ausgeübt. Man muss alle Körperzentren erwecken und Schritt für Schritt höher gehen.

Es gibt auch noch andere Yoga-Arten, die einen instand setzen, das Gemüt zu kontrollieren. Bei ihnen wird verlangt, sich ein äußeres Objekt Innerlich vorzustellen, damit man etwas hat, worauf man seine Gedanken konzentrieren kann.

Der Jnana-Yoga wiederum hat zum Ziel, die Wahrheit im Innern allein durch die Kraft des Verstandes zu erfassen – wirklich ein sehr schwieriger Weg, würde ich sagen.

In der Brihadaranyaka-Upanishade steht: „Die Unendlichkeit mit dem begrenzten Verstand zu ermessen ist so unmöglich, wie seinen Durst mit Wein zu löschen oder aus Sand Öl zu gewinnen.“

Wie kann der begrenzte Verstand mit seiner geringen Reichweite die Alles Durchdringende Wahrheit begreifen? Das ist einfach unmöglich. Daher sagte Konfuzius: „Die Wirklichkeit ist etwas, das man nicht erfassen, verstehen oder begreifen kann.“ Und er wandte sich deshalb von der Spirituellen Seite des Lebens den ethischen Aspekten zu.

Können wir mit dieser Wirklichkeit überhaupt in Verbindung kommen? Alle Meister sagten entschieden und einstimmig: „Ja!“ Guru Nanak bestätigt: „Der Herrgott Nanaks ist überall sichtbar.“

Swami Vivekananda, der vor Jahren nach Amerika kam, begann sein Leben als Atheist. Er forderte die Leute auf, ihm Gott zu zeigen. Dann fragte er: „Gibt es jemanden, der Gott gesehen hat?“ Ihm wurde geraten, nach Dakshineswar (in Bengalen) zu gehen und Paramhansa Ramakrishna aufzusuchen.

Voller Stolz auf seine intellektuellen Fähigkeiten ging er dorthin. Ramakrishna erschien ihm wie ein gewöhnlicher Mensch. Ihr seht, die Meister suchen nicht zu glänzen; sie sind nicht auf äußeren Schein bedacht. Vielmehr geben sie sich als Mensch, wie wir es sind. Er fand den Weisen zuerst auf der Wiese, die an seine Hütte grenzte, und stellte ihm seine oft wiederholte Frage: „Meister, habt Ihr Gott gesehen?“ Und wie lautete die Antwort? „Ja, mein Kind, ich sehe Ihn genauso, wie ich dich sehe, nur lebendiger.“ Bei diesen Worten, die aus dem Herzen eines verwirklichten Menschen kamen, verneigte sich Vivekananda. Und in seinem ganzen weiteren Leben erklärte er immer wieder: „Nur durch diesen Gottmenschen wurde ich gerettet.“

Wie ist also die Erlösung möglich? Alle Meister sagen: „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib voller Licht sein.“ Um Erlösung zu erlangen, müssen wir also unser „einfältiges Auge“ entwickeln. Aber wie ist es zu finden und zu entwickeln?

Guru Nanak sagt uns, dass das „Einzelauge“, von dem die Rede ist, nicht aus Fleisch und Blut besteht wie unsere äußeren Augen. Es ist das Innere Auge, das Auge in euch, und dieses muss geöffnet werden. Aber wie? Jemand, Dessen Inneres Auge offen ist und Der das Licht Gottes gesehen hat, kann auch euch eine Innere Ersthand-Erfahrung davon geben. Sehen heißt glauben, und wenn ihr selbst seht, werdet ihr nach keinem weiteren Beweis verlangen. Andererseits kann ein Blinder nicht den Blinden führen. Nur eine erwachte Seele kann Seelen erwecken, die auf der Sinnesebene schlafen. Wie Licht von Licht kommt, so kommt Leben von Leben. Ein verwirklichter Mensch kann anderen eine Erfahrung von der Wirklichkeit zuteil werden lassen. Wer sich ins kosmische Bewusstsein erhoben hat, kann anderen dazu verhelfen, sich in dieses Bewusstsein zu erheben. Es ist also nicht unmöglich. Alle Meister haben dies bestätigt. Shamas-i-Tabrez sagt: „Wir sollten Gott mit unseren eigenen Augen sehen und die Stimme Gottes mit unseren eigenen Ohren hören.“ Dies ist nichts Neues. Es ist die allerälteste Wissenschaft und auch die exakteste.

Ein anderer Moslem-Heiliger, Moin-du-din Chishti, sagt uns: „Ihr müsst das Innere Auge öffnen, um die Herrlichkeit Gottes im Innern zu sehen. Sie ist bereits dort.“

Ein Wahrer Christ muss wissen, wie man sich über das Körperbewusstsein erhebt, um das Licht Gottes zu erblicken. Ein Wahrer Moslem muss die Glorie Gottes von der Spitze des Berges Toor bezeugen, der unser Körper ist. Der Prophet Moses ging auf den Berg Sinai, um die zehn Gebote inmitten von Blitz und Donner zu vernehmen. Desgleichen ist ein Wahrer Sikh (Khalsa), wer das Licht Gottes in sich selbst sieht. Die Schriften sagen uns, dass der „Guru“ (Meister) einer ist, der die Dunkelheit im Menschen vertreiben kann, indem er das Licht des Himmels enthüllt. Die Christen nennen diese Stelle (an der das Licht gesehen wird) im übertragenen Sinn den Berg der Verklärung.

Das ist unser Ziel. Es ist möglich und für jeden erreichbar. Wann? Wenn man in Verbindung mit einem praktisch erfahrenen Adepten kommt. Er wird ein Mensch wie jeder andere von euch sein, aber er hat eine Innere Erfahrung von der Wahrheit und ist kompetent, euch diese ebenfalls zu geben. Wenn er sie euch zu aller Anfang gibt, könnt ihr mehr von ihm erwarten.

Welche Art Yoga lehren die Meister? Ich habe gerade bestimmte Yoga-Arten erwähnt. Es gibt noch andere Richtungen, die es ermöglichen, uns auf die niederen Ganglien im Körper zu konzentrieren und dort zu verweilen. Sie zielen darauf ab, verschiedene übernatürliche Kräfte zu erwecken. Das Wahre Lebensziel aber besteht darin, sich selbst und Gott zu erkennen, nicht im Besitz übernatürlicher Kräfte. Einem, der die höchste Art von Yoga praktiziert, indem er dem Weg der Meister folgt, fallen alle solche Kräfte von selbst zu: er hat nicht für sie zu arbeiten. Aber ein Wahrer Gottsucher meidet derartige Versuchungen.

Welches ist sodann der natürlichste Yoga? Was lehren die Meister? Der Pfad der Meister ist als „Sahaj-Yoga“ (der natürliche Yoga) oder Surat Shabd-Yoga (der Yoga des Tonstroms) bekannt. Was ist Surat? Es ist die Seele in jedem von uns, deren äußerer Ausdruck die Aufmerksamkeit ist oder was man als Bewusstheit, Gewahrsein oder Wachsamkeit kennt. Wenn ihr eure Augen eine Zeitlang hintereinander öffnet und schließt, werdet ihr eine Art von Wachheit und Bewusstheit hinter den Augen empfinden. Diese Wachheit oder Bewusstheit ist das „Selbst“ in euch, das ihr seid. Im Wachzustand ist es im Körper zerstreut und durch die Tätigkeit der Sinne in äußere Beschäftigungen der Welt vertieft. Es kann jedoch zurückgezogen und im Innern konzentriert werden. Der Meister hilft, die Sinnesströme zurückzuziehen, sie an einem Zentrum zu sammeln, und gibt eine Innere Verbindung mit der „Kraft des Wortes“, dem Göttlichen Bindeglied in jedem von uns. Diese Gotteskraft ist unter verschiedenen Namen bekannt. Johannes spricht von ihr als dem „Wort“. Sie ist der „Heilige Geist“ Christi. Die Moslems nennen sie „Kalma“ oder „Ism-i-Azam“, während die Hindu-Rishis sie mit „Sruti“ oder „Udgit“ bezeichnen. Zoroaster gab Ihr den Namen „Sraosha“ oder das „schöpferische Wort“. Guru Nanak spricht davon als „Naam“. Sie ist die große Schöpferkraft Gottes, Die das Universum überwacht. Dieses Tonprinzip oder diese „Göttliche Harmonie“ ist der Kern alles Seienden.

Und was ist Gott? Ihr findet dasselbe in der Bibel erwähnt. Johannes beginnt sein Evangelium mit den denkwürdigen Worten: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“

Dryden, ein großer englischer Dichter, nennt es in seiner dichterischen Vorstellung die „Harmonie“ und schreibt die ganze Schöpfung der großen „Kraft der Musik“ zu. Dieses Wort existierte schon, ehe die Schöpfung entstand.

Gott, das Absolute, ist ohne Worte und ohne Namen. Als sich dieses Absolute offenbarte, wurden ihm, wie bereits gesagt, verschiedene Namen gegeben: Wort, Kalma, Naam, Sruti, Udgit usw.. Diese erste und ursprüngliche Offenbarung das Absoluten (in Form des Tonprinzips) ist das Göttliche Bindeglied in jedem von uns, und diese Kraft ist alles durchdringend und ewig. „Auf ewig, o Herr, hat dein Wort im Himmel Wohnung genommen.“ Die Bibel berichtet uns weiter: „Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht.“ Das ist die schöpferische Kraft: „Er... trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort.“ Wie ich gestern sagte, könnt ihr nicht die wahre Bedeutung der Schriften verstehen, wenn ihr nicht die spezielle Ausdrucksweise der Meister kennt. Das Wort, wie es in der ganzen Bibel und besonders von Johannes gebraucht wird, ist ein Beispiel solcher Bezeichnungen; und so gibt es viele andere in den verschiedenen Schriften. Dieses Wort ist dauerhaft, es währt immer und ewig: „Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“

Das „Wort Gottes“ bedeutet nicht die Worte, die von den Meistern gesprochen werden. Ihre Worte der Weisheit bringen nur das Wort Gottes zum Ausdruck und Dessen schöpferische, lenkende und erhaltende Kraft über allem, was sichtbar und unsichtbar ist. Diese Kraft existierte von Anbeginn. „Das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“

Dieses Göttliche Bindeglied ist in jedem Menschen. Der Hebräerbrief des Neuen Testaments sagt darüber: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer denn kein zweischneidig Schwert, und dringt durch, bis dass Es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“ Diese Kraft wird als „Wort“ bezeichnet. So ist Gott das Namenlose oder Wortlose. Als diese Kraft ins Dasein kam und eine offenbarte Form annahm – „der wirkende Gott“ –, wurde sie zum Ursprung, dem grundlosen Urgrund der ganzen Schöpfung in den höheren und niederen Welten. Und diese offenbarte Form des Absoluten ist der einzige Weg zurück zu Gott.